1 Leitsatz
Der Wohnungseigentümer als Sondereigentümer ist berechtigt, bei einer Störung des Sondereigentums gegen einen Planfeststellungsbeschluss vorzugehen.
2 Normenkette
§ 9a Abs. 2 WEG
3 Das Problem
Die Kläger sind u. a. einzelne Wohnungseigentümer von Grundstücken am Nordufer der Elbe, vornehmlich in der Siedlung Hamburg-Övelgönne und entlang der nördlich hiervon verlaufenden Elbchaussee. Beklagte ist die Freie und Hansestadt Hamburg als Genehmigungsbehörde. Es geht um einen Containerterminal. Diesem liegt ein Planfeststellungsbeschluss "Westerweiterung des ... Container Terminal Hamburg (CTH)" zugrunde. Die Kläger wollen, dass dieser aufgehoben wird. Fraglich ist, ob einzelne Wohnungseigentümer klagebefugt sind.
4 Die Entscheidung
Das OVG bejaht die Frage! Die Wohnungseigentümer seien befugt, die sich aus ihrem jeweiligen Sondereigentum ergebenden Abwehransprüche geltend zu machen. Denn es handele sich hierbei weder um Rechte, die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergeben, § 9a Abs. 2 Fall 1 WEG, noch um solche, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erforderten, § 9a Abs. 2 Fall 2 WEG (Hinweis auf Hügel/Elzer, DNotZ 2021, S. 3, 21 und Bruns, NZM 2020, S. 909, 910). Etwas anderes gelte für nur Abwehransprüche wegen Beeinträchtigungen des gemeinschaftlichen Eigentums. Bei diesen handele es sich um Rechte, die gem. § 9a Abs. 2 WEG in die ausschließliche Wahrnehmungs- und Ausübungskompetenz der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer fallen würden (Hinweis auf Häublein, ZWE 2020, S. 401, 407 und Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl., § 9a Rn. 99). Soweit die Kläger eine Beeinträchtigung ihres Sondereigentums behaupteten, stehe der Abwehranspruch daher nur den Wohnungs- als Sondereigentümern zu, soweit es um eine Beeinträchtigung des gemeinschaftlichen Eigentums gehe, müsse die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer handeln. Gründe, die gegen ein Nebeneinander gleichgerichteter Ansprüche der Gemeinschaft und der Wohnungseigentümer sprächen, seien nicht zu erkennen (Hinweis auf Müller in Hogenschurz, BeckOK WEG, Stand: 1/2021, § 9a Rn. 108 und Hügel/Elzer, DNotZ 2021, S. 3, 23).
Hinweis
- Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer übt gem. § 9a Abs. 2 WEG die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte sowie solche Rechte der Wohnungseigentümer aus, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern, und nimmt die entsprechenden Pflichten wahr. § 9a Abs. 2 WEG lehnt sich in seiner 1. Alternative an § 1011 BGB an. Nach dieser Vorschrift kann jeder Miteigentümer die Ansprüche aus dem Eigentum Dritten gegenüber in Ansehung der ganzen Sache geltend machen. § 9a Abs. 2 WEG modifiziert diesen Gedanken dahingehend, dass diese Ansprüche gegenüber Dritten nicht durch die Wohnungseigentümer, sondern durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer geltend zu machen sind. Inhaltlich sind dies vor allem, aber nicht nur, die dinglichen Ansprüche aus §§ 1004, 985 BGB.
- Neben den Rechten und Pflichten, die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergeben, übt die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nach der 2. Alternative des § 9a Abs. 2 WEG auch solche Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer aus, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern. Das sind zunächst Rechte und Pflichten, die sich aus Verträgen der Wohnungseigentümer mit Dritten ergeben, die einen Bezug zum gemeinschaftlichen Eigentum aufweisen. Solche Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer lassen eine einheitliche Rechtsverfolgung als geboten erscheinen. So liegt es, wenn schutzwürdige Belange der Wohnungseigentümer oder des Schuldners an einer einheitlichen Rechtsverfolgung das grundsätzlich vorrangige Interesse des Rechteinhabers, seine Rechte selbst und eigenverantwortlich auszuüben und prozessual durchzusetzen, deutlich überwiegen. Kennzeichnend für eine solche Rechtsausübungsbefugnis ist, dass nach der Interessenlage der Wohnungseigentümer oder aus Gründen des Schuldnerschutzes ein gemeinschaftliches Vorgehen erforderlich ist.
- In bestimmten Situationen sind sowohl das gemeinschaftliche Eigentum als auch das Sondereigentum betroffen. Dies gilt insbesondere bei Lärm- oder Geruchsimmissionen, die beide Eigentumssphären beeinträchtigen. Diese beidseitige Betroffenheit führt nicht dazu, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die Rechte des Sondereigentümers, die seinen räumlichen Bereich betreffen, geltend machen kann oder nach dem Schwerpunkt der Betroffenheit entschieden werden muss, wer die Schutzrechte geltend machen kann. § 9a Abs. 2 WEG bezieht sich nicht auf das Sondereigentum der einzelnen Wohnungseigentümer. Ist der räumliche Bereich des Sondereigentums betroffen, steht die Ausübungs- und Prozessführungsbefugnis für die darauf bezogenen Abwehransprüche allein dem betroffenen Wohnungseigentümer zu. Es gehört zu den unentziehbaren Rechten des Sondereigentümers, solche unmittelbaren Beeinträchtigungen abzuwehren; dies gilt unabhängig davon, ob und inwieweit sich die Störungsquelle auf andere Bereiche des Hauses auswirkt.
5 Entscheidung
OVG Hamburg, Urteil v. 12.5.2021, 1 Bf 492/19