Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Normenkette
§ 18 WEG, § 19 WEG, § 57 ZPO, Art. 2 GG, Art. 14 Abs. 1 GG
Kommentar
1. Zum Sachverhalt:
Der betroffene Eigentümer (Beklagte) lebte zusammen mit etwa 30 Eigentümern seit mehr als 10 Jahren alleine in einer 1-Zimmer-Wohnung im EG. In einer außerordentlichen Eigentümerversammlung wurde gegen ihn einstimmig ein Beschluss nach § 18 Abs. 3 WEG (Entziehung des Eigentums) gefasst.
In der Veräußerungsklage vor dem Amtsgericht trug die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft vor, dass aus der Wohnung des Beklagten Fäkaliengerüche kämen, die zudem noch durch Ventilatoren verstärkt in benachbarte Wohnungen geblasen würden. Bei einigen Bewohnern seien bereits Krankheitssymptome aufgetreten. Auch könnten Terrassen und Gärten aufgrund des Gestanks kaum noch benutzt werden; ebenso sei es kaum mehr möglich, Wäsche im Freien zu trocknen, da Wäschestücke diesen penetranten Geruch annähmen. Die Eingangstüre des Hauses müsste zu Entlüftungszwecken bis spät in die Nacht offengelassen werden, was u.a. die Diebstahlsgefahr erhöhe.
Der betroffene Eigentümer (Beklagte) verneinte einen bewussten Pflichtverstoß, zumal Geruchsbelästigung von ihm - soweit irgend möglich -beseitigt oder eingeschränkt werde und auch kein unzumutbares Ausmaß erreiche; weiterhin könne er keine entsprechende Ersatzwohnung finden.
Das Amtsgericht verurteilte nach Beweisaufnahme durch Augenscheinnahme und Einvernahme mehrerer Zeugen den Eigentümer zur Veräußerung seiner Wohnung.
Mit seiner Berufung trug der Beklagte weiterhin vor, dass § 18 WEG ein schuldhaftes Verhalten verlange, das seine jedoch allein krankheitsbedingt sei. Auch bei älteren Menschen oder Säuglingen bestehe oft mit einhergehender Inkontinenz negative Geruchsentwicklung, ohne diese Eigentümer mit einer Wohnungsentziehung konfrontieren zu können. Weiterhin verstoße die amtsgerichtliche Entscheidung gegen seine Grundrechte auf Eigentum und auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Hilfsweise begehre er Räumungsfrist.
Das Berufungsgericht bestätigte die amtsgerichtliche Entscheidung und gab der klagenden Wohnungseigentümergemeinschaft Recht.
Entsprechend § 57 ZPO wurde auf Antrag der Kläger dem Beklagten im Berufungsrechtszug ein besonderer Prozesspfleger beigeordnet und dieses Amt der Prozessbevollmächtigten des Beklagten übertragen. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Beklagten wurde durch Beschluss des OLG Stuttgart vom 1 .9. 1994 (Geschäftsnummer 8 W 460/94) als unzulässig verworfen.
2. Aus den Gründen der landgerichtlichen Entscheidung:
Insbesondere aufgrund der erfolgten Bestellung einer besonderen Prozesspflegerin (unter nachfolgend erteilter Genehmigung des bisherigen Verfahrens durch diese) bestehen keine Bedenken mehr im Hinblick auf eine mangelnde Prozessfähigkeit des Beklagten. Dieser hat sich nach § 18 Abs. 1 WEG einer so schweren Verletzung der ihm gegenüber anderen Wohnungseigentümern obliegenden Verpflichtung schuldig gemacht, dass diesen die Fortsetzung der Gemeinschaft mit ihm nicht mehr zugemutet werden kann. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass die Entziehung zu den schwersten aller möglichen Eingriffe in das Eigentum gehört und das letzte Mittel zur Behebung schwerwiegender Konflikte zwischen den Wohnungseigentümern ist (vgl. BVerfG, Beschluss v. 14. 7. 1993, NJW 94, 241).
Auch wenn zum Teil in der Literatur die Auffassung vertreten wird, dass i.d.R. ein störendes Verhalten, das auf einer Krankheit beruht, keine schwere Pflichtverletzung darstellt (im Gegensatz z.B. zu erheblicher Vernachlässigung des Sondereigentums, die zu Ungezieferbefall führen könne, vgl. Henkes/Niedenführ/Schulze, 2. Aufl., 1993, Rz. 5 zu § 18 WEG) verbietet sich in solchen und ähnlichen Fällen jede schematisierende Betrachtungsweise, da auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles abzustellen ist. Auch nach Beweisaufnahme durch die Kammer ist vorliegend von einer so schwerwiegenden Pflichtverletzung des Beklagten auszugehen, dass eine Entziehung und Veräußerungspflicht gerechtfertigt ist. Der 1943 geborene, ledige Beklagte leidet an einer sich über Jahrzehnte hinweg manifestierenden psychischen Erkrankung in Form einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie, die auch durch mehrere Maßnahmen nach dem Unterbringungsgesetz dokumentiert ist (vgl. behördliche Akten ...).
Mit dem Krankheitsbild geht zunächst einher, dass der Beklagte seine Kleidung nicht nach üblichen hygienischen Gepflogenheiten reinigt; weiterhin entlässt er unkontrolliert Exkremente, die er zum Teil nicht umgehend im WC entsorgt, sondern länger in der Wohnung lagert, um - wie er meint - auch nach Zersetzung Rückschlüsse auf seinen Stoffwechsel und die Qualität seiner Ernährung gewinnen zu können; dabei betreibt er unbestrittenermaßen in der Wohnung permanent zumindest einen Ventilator.
Die Kammer konnte bei einer Augenscheinseinnahme selbst den penetranten Fäkaliengeruch feststellen und bestätigen, dass diese Gerüche (auch im Hausflur) Ekel und Brechreiz hervorrufen könnten (ohne Relativierung durch Gewöhnung). Andere Eigentüme...