1 Leitsatz
Wird wegen Pflichtverletzungen eines Wohnungseigentümers eine Unterlassungsklage erhoben, ist eine auf diese Vorwürfe gestützte Entziehungsklage nicht verwirkt. Die Entziehung setzt aber voraus, dass zuvor alle milderen Mittel, wozu auch eine Titulierung von Unterlassungsansprüchen gehören kann, ausgeschöpft werden müssen.
2 Normenkette
§ 17 WEG; § 242 BGB
3 Das Problem
Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer K geht gegen Wohnungseigentümer B nach § 17 WEG (Entziehung) vor. Im Laufe des Rechtsstreits erklären die Parteien diesen für erledigt. Fraglich ist, wer die Kosten des Rechtsstreits tragen muss.
4 Die Entscheidung
Das LG meint, die Kosten des Rechtsstreits seien gegeneinander aufzuheben. Zwar habe K den Entziehungsanspruch nicht verwirkt. So liege es noch nicht, wenn die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer wegen der vermeintlichen Störungen, die auch zur Begründung der Entziehungsklage herangezogen werden, kurz zuvor Unterlassungsklage erhebe. Denn es liege weder das Zeit- noch das Umstandsmoment vor. Unterlassungs- und Entziehungsklage stünden in keinem Alternativverhältnis, sondern könnten kumulativ erhoben werden. Denkbar sei aber, dass unter dem Gesichtspunkt der "ultima ratio" des Entziehungsanspruchs zuvor alle milderen Mittel, wozu auch eine Titulierung von Unterlassungsansprüchen gehören kann, ausgeschöpft werden müssen. Ob dies hier angesichts der trotz Abmahnung andauernden Verstöße im Hinblick auf deren Intensität und Wiederholung bei laufendem Unterlassungsverfahren erforderlich gewesen sei, sei offen und im Rahmen der summarischen Prüfung inhaltlich nicht prüfbar.
Hinweis
- § 17 Abs. 1 WEG gibt das Recht, bei einer schweren Verletzung von einem Wohnungseigentümer die Veräußerung seines Wohnungseigentums zu verlangen. Ziel dabei ist nicht, vergangenes Handeln zu sanktionieren, sondern künftige Störungen zu verhindern und den Hausfrieden wiederherzustellen.
- Anspruchsgegner ist ein Wohnungseigentümer. Steht ein Wohnungseigentum mehreren gesamthänderisch zu und stört nur einer von ihnen, kann die Veräußerung des Wohnungseigentums von allen verlangt werden. Nach § 17 WEG ist die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer berechtigt. Sie handelt insoweit als Treuhänderin.
- Verletzt ein Wohnungseigentümer eine oder mehrere seiner Pflichten, muss für ein Veräußerungsverlangen untersucht werden, ob die Verletzung schwer und eine Fortsetzung der Gemeinschaft unzumutbar ist. Dies kann nicht abstrakt beantwortet werden, sondern ist Gegenstand einer Gesamtabwägung. Herauszuarbeiten ist, was jeweils für die andere Seite spricht. Bei der Abwägung spielt u. a. eine Rolle, ob die Verletzung schuldhaft ist, ob sie sich wiederholt, aus welcher Sphäre sie stammt, wie eng die Wohnungseigentümer zusammenleben, wie lange die Pflichtverletzung zurückliegt usw. Das Verhalten des Störers darf nicht isoliert bewertet werden. Ein Verschulden ist nicht zwingend. Ist eine Wiederholung nicht zu erwarten, kann eine Verpflichtung zur Veräußerung zulässig sein, wenn die einmalige Verletzung von einer besonderen Schwere ist.
- Grundsätzlich erforderlich ist eine Abmahnung. Ihr Zweck besteht darin, dem Wohnungseigentümer ein bestimmtes, als Entziehungsgrund beanstandetes Fehlverhalten vor Augen zu führen, verbunden mit der Aufforderung, das Verhalten zur Vermeidung eines Entziehungsbeschlusses aufzugeben oder zu ändern. Die Abmahnung soll dem Betroffenen eine Möglichkeit zur Verhaltensänderung geben und diese berücksichtigen. Bei mehrfachen Verstößen derselben Art bedarf es keiner mehrfachen Abmahnungen. Auf eine Abmahnung kann ausnahmsweise verzichtet werden, wenn diese unzumutbar ist oder offenkundig keine Aussicht auf Erfolg bietet. Eine Abmahnung ist ferner entbehrlich, wenn ein Wohnungseigentümer, gegen den eine Entziehungsklage rechtshängig ist, das dort beanstandete Verhalten fortsetzt. Im neuen Recht setzt sich mehr und mehr die Ansicht durch, nur der Verwalter könne die Abmahnung aussprechen.
5 Entscheidung
LG Frankfurt a. M., Beschluss v. 3.5.2021, 2-13 S 116/20