Leitsatz
Wohnungseigentum, das mehreren gemeinschaftlich zusteht (Bruchteilseigentum), kann insgesamt entzogen werden, wenn auch nur einer der Miteigentümer einen Entziehungstatbestand nach § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 WEG verwirklicht.
Der nicht störende Miteigentümer ist entsprechend § 19 Abs. 2 WEG berechtigt, die Wirkungen des Entziehungsurteils bis zur Erteilung des Zuschlags dadurch abzuwenden, dass er den Miteigentumsanteil des störenden Miteigentümers selbst erwirbt, den störenden Miteigentümer dauerhaft und einschränkungslos aus der Wohnanlage entfernt und dass er der Wohnungseigentümergemeinschaft alle Kosten ersetzt, die dieser durch die Führung des Entziehungsrechtsstreits und die Durchführung eines Zwangsversteigerungsverfahrens zur Durchsetzung des Entziehungsanspruchs entstanden sind.
Normenkette
WEG § 18 Abs. 1, § 18 Abs. 2 Nr. 1, § 19 Abs. 2
Das Problem
- Ehemann B1 und Ehefrau B2 sind je zu ½ Miteigentümer eines Wohnungseigentums, welches sie seit Jahrzehnten selbst bewohnen. Der psychisch gestörte, aber nicht schuldunfähige B1 beschmiert wiederholt das Treppenhaus, eine Hinweistafel im Eingangsbereich der Wohnungseigentumsanlage, eine Wohnungstür und Briefkästen anderer Wohnungseigentümer mit beschimpfenden Schriftzügen. B1 beleidigt ferner andere Wohnungseigentümer lautstark und wiederholt in Fäkalsprache mit rassistischem Vokabular. Ferner kommt es mehrfach zu erheblichen Körperverletzungen.
- Der Verwalter fordert B1 und B2 unter Abmahnung mehrfach vergeblich auf, dieses Verhalten umgehend einzustellen. Im September 2015 beschließen die Wohnungseigentümer daher, gegen B1 und B2 eine Entziehungsklage zu führen. Ferner fordern sie B1 und B2 unter Fristsetzung auf, ihr Wohnungseigentum zu veräußern und ermächtigen den Verwalter, bei erfolglosem Verstreichen der Frist eine Entziehungsklage zu betreiben.
- Da alle Maßnahmen nichts fruchten, erhebt der Verwalter die B1 und B2 angedrohte Entziehungsklage namens der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Das Amtsgericht (AG) verurteilt beide Beklagte zur Veräußerung.
- Auf die Berufung der B2 hebt das Landgericht (LG) unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels die Verurteilung auf und weist die Entziehungsklage insoweit ab. Zwar habe sich B1 so schwerer Verletzungen der ihm gegenüber den anderen Wohnungseigentümern obliegenden Verpflichtungen schuldig gemacht, dass diesen die Fortsetzung der Gemeinschaft mit ihm nicht mehr zugemutet werden könne. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer könne aufgrund dieser Verfehlungen aber nur von B1 und nicht auch von der B2 die Veräußerung des Wohnungseigentums verlangen. Denn in der Person der B2 lägen die Voraussetzungen für eine Entziehung nicht vor. B2 müsse sich das Fehlverhalten des B1 auch nicht zurechnen lassen. Sie sei diesem zwar aufgrund der Ehe zu Beistand verpflichtet. Sie treffe aber weder eine Verpflichtung, ihn in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen, noch eine Verpflichtung dazu, ihn von seinen Pflichtverletzungen abzuhalten. Beides sei ihr nicht zuzumuten, zumal sie befürchten müsse, dass sich bei entsprechenden Versuchen ihrerseits der Verfolgungswahn und das dadurch ausgelöste aggressive Verhalten des B1 auch gegen sie richteten.
- Gegen diese Sichtweise wendet sich die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer mit Revision. Mit Erfolg!
Die Entscheidung
Der Ehemann
B1 sei nach § 18 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 WEG zur Veräußerung seines Miteigentumsanteils am Wohnungseigentum verpflichtet. Dieses stehe aufgrund des Urteils des Amtsgerichts, das B1 nicht angefochten habe, mittlerweile rechtskräftig fest.
Die Ehefrau
Zu entscheiden sei also nur, ob aufgrund des Verhaltens des Ehemannes auch die Ehefrau B2, die selbst keinen Entziehungstatbestand verwirklicht habe, zur Veräußerung ihres Miteigentumsanteils verpflichtet sei oder ob sich der Entziehungsanspruch der übrigen Wohnungseigentümer in einer solchen Konstellation auf die Entziehung des Miteigentumsanteils des störenden Miteigentümers beschränke.
Der Meinungsstreit
- Diese Frage sei umstritten. Einigkeit bestehe darüber, dass ein entziehungsfähiges Fehlverhalten auch nur eines von mehreren Eigentümern eines Wohnungseigentums alle Eigentümer zu dessen Veräußerung verpflichte, wenn es diesen zur gesamten Hand zustehe (Hinweis u.a. auf Hügel/Elzer, WEG, 2. Auflage, § 18 Rn. 3).
Dagegen sei die Rechtslage umstritten, wenn das Wohnungseigentumsrecht mehreren Personen als Bruchteilseigentum zustehe:
- Nach einer Ansicht seien auch in diesem Fall alle Miteigentümer zur Veräußerung des Wohnungseigentumsrechts insgesamt verpflichtet. Begründet werde diese Ansicht mit einem der Vorschrift zu entnehmenden sogenannten Objektprinzip und der Erwägung, dass die Entziehung anders nicht durchgesetzt werden könne (Hinweis u.a. auf Heinemann in Jennißen, WEG, 5. Auflage, § 18 Rn. 9).
- Nach der Gegenmeinung müssten sich die anderen Miteigentümer das Fehlverhalten des den Gemeinschaftsfrieden störenden Miteigentümers hingegen nicht zurechnen lassen. Deshalb habe im Grundsa...