Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Zusammenfassung
Bei einer Schenkung unter Lebenden oder einem Erwerb von Todes wegen muss geprüft werden, ob eine Erbschaft- oder Schenkungsteuer entsteht und wenn ja, in welcher Höhe sie festzusetzen ist. Dabei können in Abhängigkeit der übertragenen Vermögensgegenstände Steuerbegünstigungen anzuwenden sein und Schulden in unterschiedlicher Höhe zu berücksichtigen sein. In Abhängigkeit des Nahe- oder Verwandtschaftsverhältnisses kommen unterschiedliche persönliche Freibeträge zur Anwendung. Bei mehreren Erwerben von derselben Person innerhalb von 10 Jahren ist eine Zusammenrechnung der Erwerbe vorzunehmen.
Die sachliche und persönliche Steuerpflicht ergibt sich aus § 1 bis § 8 ErbStG. Bewertungsstichtag, Tag der Steuerentstehung und die Wertermittlung sind in den §§ 9 bis 11 ErbStG geregelt. Steuerbefreiungen sind nach § 13 ff. ErbStG zu prüfen. Die Berechnung der Erbschaftsteuer nach den individuellen Verhältnissen der Beteiligten sowie der Steuertarif ergeben sich nach § 15 bis § 19a ErbStG. Die Finanzverwaltung hat umfassend durch die ErbStR 2019 Stellung genommen.
1. Sachliche und persönliche Steuerpflicht
Das Erbschaftsteuerrecht unterscheidet die sachliche und die persönliche Steuerpflicht. Zur Ermittlung der zutreffenden steuerrechtlichen Konsequenzen ist zuerst zu prüfen, ob der Erwerb überhaupt – und wenn ja, in welchem Umfang – der deutschen Erbschaft- oder Schenkungsteuer unterliegt.
1.1 Sachliche Steuerpflicht
Der Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) unterliegen als sog. Grundtatbestände nach § 1 Abs. 1 ErbStG (= sachliche Steuerpflicht)
- der Erwerb von Todes wegen,
- die Schenkungen unter Lebenden,
- die Zweckzuwendungen und
- die (Familien-)Stiftungen
mit dem Ziel, die Bereicherung aus einem Vermögensanfall zu erfassen. Die Schenkung ist schon deshalb mit einzubeziehen, um sonst mögliche Steuerumgehungen durch Vermögensübertragungen unter Lebenden zu verhindern. Grundlage der Besteuerung ist nicht die Höhe des Nachlasses, sondern die Bereicherung, die bei dem Begünstigten eintritt. Hauptanspruchsgrundlage für die Erbschaft- und Schenkungsteuer sind der Erwerb von Todes wegen und die Schenkung unter Lebenden.
Ein Erwerb von Todes wegen setzt voraus, dass infolge des Tods (einer natürlichen Person) Vermögen auf eine andere Person übergeht (natürliche Person, Personengruppe oder jurstische Person). Der Zeitpunkt des Tods ergibt sich im Regelfall durch Feststellung im Sterbebuch und der standesamtlichen Sterbeurkunde. In anderen Fällen greifen die Vorschriften des Verschollenheitsgesetzes. Die im § 3 ErbStG aufgezählten Tatbestände des Erwerbs von Todes wegen sind abschließend, d. h. andere als die genannten Tatbestände werden nicht zur Erbschaftsteuer herangezogen. Damit unterliegen als Erwerb von Todes wegen insbesondere die folgenden Vorgänge dem ErbStG:
- Der Erwerb durch Erbanfall – im Regelfall durch gesetzliche Erbfolge oder durch gewillkürte Erbfolge (Testament), .
- Das Vermächtnis – nicht von Bedeutung ist, worauf das Vermächtnis ausgerichtet ist; am häufigsten sind Geld- oder Rentenvermächtnisse. Das bei dem Begünstigten zu einem Erwerb führende Vermächtnis führt bei dem zur Erfüllung verpflichteten Erben/der Erbengemeinschaft zu einer Nachlassverbindlichkeit nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG.
- Der geltend gemachte Pflichtteilsanspruch. Ist ein gesetzlicher Erbe von der Erbfolge durch Testament ausgeschlossen ("enterbt") worden, hat er als Pflichtteilsanspruch die Hälfte seines gesetzlichen Erbanspruchs. Der Anspruch ist aber ein lediglich auf Geld gerichteter Anspruch, der Pflichtteilsberechtigte wird nicht Mitglied der Erbengemeinschaft. Der geltend gemachte Pflichtteilsanspruch führt bei dem Erben/der Erbengemeinschaft zu einer Nachlassverbindlichkeit nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG.
- Der Erwerb durch Schenkung auf den Todesfall. Hier ist insbesondere die gesetzliche Fiktion bei dem Anwachsen von Anteilen an Personen- oder Kapitalgesellschaften bei dem Tod eines Gesellschafters bei den überlebenden Gesellschaftern zu beachten, wenn der Abfindungsanspruch des Erben/der Erbengemeinschaft unter dem erbschaftsteuerrechtlichen Wert der Anteile liegt.
- Die Vermögensvorteile, die aufgrund eines vom Erblasser geschlossenen Vertrags von einem Dritten (Vertrag zugunsten Dritter) unmittelbar erworben werden. Dies sind insbesondere die direkt von einer Versicherung erworbenen Ansprüche eines Begünstigten im Todesfall des Versicherungsnehmers. Der im Regelfall durch eine Kapital- oder Risikolebensversicherung im Todeszeitpunkt entstehende Auszahlungsanspruch ist kein in den Nachlass fallender Anspruch, er wird von der begünstigten Person oder – wenn keine begünstigte Person festgelegt wurde – der Erbengemeinschaft unmittelbar erworben.
Als Schenkung unter Lebenden gilt jede freigebige Zuwendung, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Die Bereicherung bedeutet eine in Geld zu bewertende Vermögensmehrung. Sofern eine Gegenleistung für diese Zuwendung zu ...