Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Unabhängig vom individuellen Bewertungsverfahren – soweit der Wert im vereinfachten Ertragswertverfahren oder einem anderen anerkannten Bewertungsverfahren ermittelt worden ist – ist noch eine Untergrenze bei der Bewertung zu berücksichtigen: Mindestens ist die Summe der gemeinen Werte der Einzelwirtschaftsgüter und der sonstigen aktiven Ansätze abzüglich der Schulden und sonstigen Abzüge des Unternehmens anzusetzen. Dieser Wert ist dann ein reiner Substanzwert (nach Verkehrswerten), der ohne Berücksichtigung der Ertragsaussichten ermittelt wird.
Aufdeckung der stillen Reserven bei Ansatz des Mindestwerts
Bei Ermittlung des Substanzwerts sind – bedingt durch den Ansatz des gemeinen Werts – alle stillen Reserven der zu bewertenden Wirtschaftsgüter aufzudecken und mit einzubeziehen.
Die Prüfung, ob der Ansatz des Mindestwerts in Betracht kommt, führt in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten. Ob er zur Anwendung kommt, kann definitiv erst nach Berechnung des Mindestwerts festgestellt werden. Damit sind – soweit nicht im Rahmen einer Schätzung der Ansatz des Mindestwerts ausgeschlossen werden kann – alle Wirtschaftsgüter mit dem gemeinen Wert zu bewerten. Dies setzt auch bei betriebsnotwendigen Grundstücken – die nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren eigentlich durch den "normalen" Betriebsertrag mit berücksichtigt sind – eine Feststellung des gemeinen Werts im Rahmen der Grundbesitzbewertung nach §§ 157 ff. BewG voraus. Darüber hinaus sind alle abnutzbaren Wirtschaftsgüter mit ihrem gemeinen Wert zu bewerten. Insbesondere bei umfangreichem Maschinenpark kommt es hier zu erheblichen Bewertungsproblemen, da der Marktwert solcher komplexer Anlagen nur sehr schwer (und meistens nur mit hohem Aufwand) ermittelt werden kann.
Ausführlich nimmt die Finanzverwaltung in R B 11.5 und R B 11.6 ErbStR zu der Ermittlung des Substanzwerts Stellung.
Kein Substanzwert bei Ableitung des Werts aus Verkäufen
Wurde der gemeine Wert der Anteile an einer Kapitalgesellschaft oder des Betriebsvermögens aus Verkäufen abgeleitet, spielt der Substanzwert als Mindestwert keine Rolle. Gleiches gilt bei Ermittlung des gemeinen Werts börsennotierter Anteile.
Zu den bei dem Substanzwert zu berücksichtigenden Positionen gehören alle dem ertragsteuerrechtlichen Betriebsvermögen zuzurechnenden Wirtschaftsgüter. Darüber hinaus sind aber auch die aktiven und passiven Wirtschaftsgüter, für die ein steuerliches Aktivierungs- oder Passivierungsverbot besteht, zu berücksichtigen. Zu folgenden Positionen ergeben sich ebenfalls Besonderheiten bzw. Vereinfachungen (vgl. insbesondere R. B 11.5 ErbStR):
Position |
Ansatz |
Rücklagen |
Im Allgemeinen nicht abzugsfähig, da Eigenkapitalcharakter |
Erfindungen/Urheberrechte |
Im Regelfall Kapitalisierung der wiederkehrenden Zahlungen über eine durchschnittliche Laufzeit von 8 Jahren. |
Bewegliches abnutzbares Anlagevermögen |
Ansatz aus Vereinfachungsgründen mit 30 % der AHK. |
Umlaufvermögen |
Ansatz mit den Wiederbeschaffungs- oder Wiederherstellungskosten. Eventuell nach dem Lifo-Verfahren gebildete stille Reserven sind aufzulösen. |
Grundbesitz, Anteile an Personengesellschaften oder an Kapitalgesellschaften |
Ansatz mit dem nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BewG zum Bewertungsstichtag festgestellten Wert. |
Übrige Vermögensteile |
Ansatz mit dem gemeinen Wert. |
Ableitung des Stichtagswerts aus letzter Bilanz
Ist zum Bewertungsstichtag keine Stichtagsbilanz aufgestellt worden, kann aus Vereinfachungsgründen die Ableitung des Substanzwerts aus der letzten Bilanz erfolgen. Allerdings ergeben sich bestimmte Korrekturen nach R B 11.6 ErbStR (für die Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften) bzw. nach R B 109.3 ErbStR (bei der Bewertung des Betriebsvermögens).
Die Kapitalgesellschaft hat nach amtlichem Vordruck eine Vermögensaufstellung abzugeben, aus der sich die für die Ermittlung des Substanzwerts erforderlichen Angaben ergeben.