1 Leitsatz
Vor einem Beschluss, einen Baum zu fällen, muss von den Wohnungseigentümern geklärt werden, ob es weniger einschneidende Maßnahmen gibt.
2 Normenkette
§ 21 Abs. 4 WEG
3 Das Problem
Zum gemeinschaftlichen Eigentum gehört ein Seeufergrundstück, auf dem sich alter Baumbestand befindet. Dort stehen u. a. 3 Robinien mit einem Stammumfang von ca. 1 bis 2,3 m sowie eine 2-stämmige Erle mit einem Stammumfang von ca. 1,5 bzw. 1 m. Im Herbst 2017 beantragt der Verwalter wegen des Zustands der Bäume eigenmächtig eine Fällgenehmigung. Diese wird auch erteilt. Daraufhin beauftragt der Verwalter ein Baumfäll-Unternehmen, welches die Robinien fällt. Zu weiteren Arbeiten kommt es wegen des Protestes der Wohnungseigentümer allerdings nicht. Im Juli 2019 kündigt der Verwalter an, es sei darüber zu beschließen, wie mit der zunächst abgebrochenen Baumfällung umzugehen sei. Während der Versammlung erklärt er, hinsichtlich der Erle liege Gefahr in Verzug vor. Die Wohnungseigentümer beschließen daraufhin, die abgebrochene Baumfällung fortzusetzen. Gegen diesen Beschluss geht Wohnungseigentümer K vor. Er ist der Auffassung, der Beschluss sei auf unzureichender Tatsachengrundlage gefasst worden. So sei bereits der Beschlussformulierung zu entnehmen, dass die Wohnungseigentümer die unzutreffende Vorstellung gehabt hätten, es handele sich um eine behördlich angeordnete, zwingend vorzunehmende Baumfällung.
4 Die Entscheidung
Die Klage hat Erfolg! Der Beschluss widerspreche dem Grundsatz ordnungsmäßiger Verwaltung. Grundsätzlich obliege es den Wohnungseigentümern, bei mehreren Entscheidungsmöglichkeiten eine Ermessensentscheidung zu treffen. Dazu gehöre es auch, festzustellen, ob eine Ermessensentscheidung möglich sei oder eine Ermessensreduzierung auf Null vorliege. Im Fall fehlten zum Zeitpunkt der Eigentümerversammlung insoweit ausreichende Anhaltspunkte. Soweit die beklagten Wohnungseigentümer geltend machten, die Erle sei umsturzgefährdet, und müsse deswegen gefällt werden, spreche allein der Zeitablauf zwischen Fällgenehmigung und Versammlung gegen eine akute Umsturzgefahr. Es habe zahlreiche, auch heftige Stürme in den letzten Jahren gegeben, ohne dass die Erle umgekippt sei. Auch sei nichts dafür vorgetragen worden, dass z. B. frische Risse in der Erdoberfläche erkennbar geworden seien. Allein die Tatsache, dass die Erle schief stehe, indiziere keine Umsturzgefahr. Unter diesen Umständen hätten die Wohnungseigentümer feststellen müssen, ob noch andere, weniger eingreifende Maßnahmen erforderlich, möglich und gewünscht waren, um die Erle zu erhalten.
Hinweis
Ein merkwürdiger Fall, der jedem Verwalter zur Warnung gereichen sollte. Es ist völlig unklar, warum der Verwalter eigenmächtig vorgegangen ist und – ohne die Wohnungseigentümer einzuschalten – nicht nur eine Fällgenehmigung eingeholt, sondern diese auch – bis die Wohnungseigentümer ihn stoppten – umgesetzt hat. So ein Verwalter gefährdet seine Bestellung! Wie wäre es richtig? Ein Kurzüberblick:
- Die Wohnungseigentümer sind Eigentümer der auf dem gemeinschaftlichen Eigentum gepflanzten Bäume. Bäume sind ein wesentlicher Bestandteil des Grundstücks (§§ 93, 94 Abs. 1 Satz 2 BGB) und stehen im gemeinschaftlichen Eigentum (BGH v. 11.12.1992, V ZR 118/91, NJW 1993 S. 727 unter III. 2). Als Eigentümer sind die Wohnungseigentümer für die Bäume verkehrssicherungspflichtig (auch für Grenzbäume). Sie müssen deshalb die nach dem jeweiligen Stand der Erfahrung und Technik als geeignet und genügend erscheinenden Sicherungen treffen, also den Gefahren vorbeugend Rechnung tragen, die nach Einsicht eines besonnenen, verständigen und gewissenhaften Menschen erkennbar sind, und diejenigen Maßnahmen ergreifen, die zur Gefahrbeseitigung objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind. Danach sind sie u. a. verpflichtet, die Bäume in angemessenen Abständen auf Krankheitsbefall zu überwachen.
- Wie oft und in welcher Intensität solche Baumkontrollen durchzuführen sind, lässt sich nicht generell beantworten. Ihre Häufigkeit und ihr Umfang sind von dem Alter und Zustand des Baums sowie seinem Standort abhängig (BGH, Urteil v. 2.7.2004, V ZR 33/04). Werden dabei Anzeichen erkannt, die nach der Erfahrung auf eine besondere Gefahr durch den Baum hinweisen, ist eine eingehende Untersuchung vorzunehmen; solche Anzeichen können trockenes Laub, dürre Äste oder verdorrte Teile, Pilzbefall, äußere Verletzungen oder Beschädigungen, hohes Alter des Baums, sein Erhaltungszustand, die Eigenart seiner Stellung und sein statischer Aufbau sein (BGH, Urteil v. 2.7.2004, V ZR 33/04).
- Grundsätzlich hat der Verwalter daher mit den Wohnungseigentümern zu besprechen, wie jedenfalls ein älterer Baumbestand kontrolliert wird. Häufig bietet sich insoweit ein Vertrag mit einem Fachunternehmen zur Durchführung von verkehrssicherheitsrelevanten und baumpflegerischen Schnittmaßnahmen an. Der zur Wohnungseigentumsanlage gehörende Baumbestand kann danach z. B. einmal jährlich kontrolliert werden und zusätzlich nach Stürmen. Dieser Vertrag befreit die Wohnungseig...