Aet Bergmann, Anne Saaber
1. Kreis der Pflichtteilberechtigten
Rz. 28
Wenn der Erblasser mit dem Testament oder einem Erbvertrag verfügt hat, dass seine Nachkommen, seine Eltern, sein Ehegatte oder sein registrierter Lebenspartner, denen gegenüber er zu Lebzeiten aufgrund des FamG zum Unterhalt verpflichtet war und die seine gesetzlichen Erben gewesen wären, nicht nach ihm erben oder weniger erben als gesetzlich vorgesehen, haben diese das Recht, einzeln ihren jeweiligen Pflichtteil von der Erbschaft geltend zu machen. Im Fall von mehreren möglichen Pflichtteilberechtigten wird die gesetzliche Erbfolge angewandt: wenn ein Erbe einer niedrigeren Ordnung seinen Pflichtteil fordern kann oder das Erbe annimmt, sind mögliche Pflichtteilberechtigte höherer Ordnungen vom Pflichtteil ausgeschlossen.
2. Umfang des Pflichtteils
Rz. 29
Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils, der angefallen wäre, wenn alle Erbberechtigten ihr Erbe angenommen hätten. Erben, die auf ihren Erbteil im Vorfeld vertraglich verzichtet haben, werden nicht berücksichtigt. Der Wert der Erbschaft wird zum Tag des Erbfalles berechnet; abgezogen werden Schulden und bestehende Verpflichtungen der Erbschaft. Verpflichtungen, die von einer aufschiebenden Bedingung abhängen, werden nicht berücksichtigt. Verpflichtungen, deren Ende von einer auflösenden Bedingung abhängt, werden in vollem Maße berücksichtigt.
Für die Berechnung des Pflichtteils werden auch außerordentliche Vermächtnisse (z.B. die gewöhnlichen Einrichtungsgegenstände des gemeinsamen Heimes der Ehegatten oder der registrierten Lebenspartner, die an den überlebenden Ehegatten oder den überlebenden registrierten Lebenspartner fallen) gezählt, außerdem Geschenke des Erblassers zu Lebzeiten (aber nicht früher als zehn Jahre vor dem Erbfall), die mit der Absicht gemacht wurden, den Pflichtteil zu mindern oder einem Pflichtteilberechtigten Schaden zuzufügen.
3. Durchsetzung des Pflichtteilrechts
Rz. 30
Dem Pflichtteilberechtigten steht gegenüber den Erben ein Pflichtteilergänzungsanspruch zu, wenn die testamentarischen Verfügungen des Erblassers seinen Pflichtteilanspruch verletzen. Erbt der Pflichtteilsberechtigte testamentarisch weniger als seinen Pflichtteil, kann er die Differenz zum vollen Pflichtteil von den anderen Erben fordern.
4. Verjährung
Rz. 31
Der Pflichtteilanspruch verjährt innerhalb von drei Jahren ab der Kenntnis des Pflichtteilberechtigten vom Erbfall und von der Verletzung seiner Rechte, aber nicht später als zehn Jahre ab dem Erbfall. Hat der Erblasser zu Lebzeiten Geschenke an Dritte mit der Absicht gemacht, den Pflichtteil zu mindern oder einem Pflichtteilberechtigten Schaden zuzufügen, ist der Pflichtteilberechtigte innerhalb eines Jahres ab dem Erbfall berechtigt, von den Erben die Aufstockung seines Pflichtteils um die Summe zu verlangen, um die sein Pflichtteil größer gewesen wäre, wenn das Geschenk im Nachlass verblieben wäre.
5. Außerordentlicher Ausschluss vom Pflichtteil (Enterbung)
Rz. 32
Der Erblasser kann testamentarisch oder im Erbvertrag verfügen, dass der Erbe seinen Pflichtteil nicht bekommt, wenn Letzterer gegen den Erblasser, seinen nahen Verwandten, seinen Ehegatten, seinen registrierten Lebenspartner oder gegen eine andere besonders nahestehende Person des Erblassers eine Straftat verübt hat oder wenn er seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht dem Erblasser gegenüber vorsätzlich und in einem wesentlichen Ausmaß nicht nachgekommen ist. Diese Begründung muss im Testament oder Erbvertrag ausgeführt sein.