A. Rechtsanwendung im Erbrecht

I. Estnisches internationales Erbrecht

 

Rz. 1

Das estnische internationale Erbrecht ist im 5. Teil (§§ 24–29) des estnischen Gesetzes zum Internationalen Privatrecht[1] geregelt. Demnach wird für den gesamten Nachlass das Recht des letzten Wohnsitzstaates des Erblassers, unabhängig vom Ort des Vermögens, angewandt. Der Erblasser kann aber auch eine Rechtswahl treffen und testamentarisch oder im Erbvertrag festlegen, dass die Erbfolge dem Recht des Staates folgen soll, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

Das anzuwendende Recht bestimmt bei der Erbfolge:

die Formen und Wirkung von Verfügungen von Todes wegen;
die Erbfähigkeit bzw. Erbunfähigkeit;
den Umfang der Erbschaft;
den Kreis der Erben und deren Anteile an der Erbschaft;
die Verantwortung für die Schulden des Erblassers.
[1] Rahvusvahelise eraõiguse seadus, RT I 2002, 35, 217; in Kraft getreten am 1.7.2002; zuletzt geändert am 6.7.2017.

II. EU-Erbrechtsverordnung (EU-Verordnung 650/2012)

 

Rz. 2

Gemäß der am 17.8.2015 in Kraft getretenen EU-Verordnung Nr. 650/2012[2] (im Weiteren: EuErbVO) unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.[3] Ergibt sich ausnahmsweise aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes eine offensichtlich engere Bindung zu einem anderen als dem Staat hatte, dessen Recht grundsätzlich anzuwenden wäre, so ist auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.[4] Bezüglich der Rechtsnachfolge von Todes wegen ist auch eine Rechtswahl möglich – eine Person kann das Recht des Staates wählen, dem sie zum Zeitpunkt der Rechtswahl angehört oder zum Zeitpunkt ihres Todes angehören wird.[5] Die Rechtswahl muss ausdrücklich in einer Erklärung in Form einer Verfügung von Todes wegen erfolgen oder sich aus den Bestimmungen einer solchen Verfügung ergeben. Diesem Recht unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen (die Erbfähigkeit, Enterbung, Haftung für die Nachlassverbindlichkeiten usw.).[6]

Da das internationale Erbrecht durch die EuErbVO vereinheitlicht wird, entfallen in diesem Artikel die landesspezifischen Ausführungen zum internationalen Erbrecht.

[2] Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, ABl L 201 vom 27.7.2012.

III. Haager Übereinkommen

 

Rz. 3

Auf die Form des Testaments und des Erbvertrages wird das Haager Übereinkommen[7] angewandt.

[7] Übereinkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht, abgeschlossen in Den Haag am 5.10.1961, in Estland ratifiziert am 25.3.1998.

IV. Bilaterale Abkommen

 

Rz. 4

Erbrechtliche bilaterale Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Estland existieren nicht.

B. Materielles Erbrecht

 

Rz. 5

Das materielle Erbrecht und das Nachlassverfahren sind hauptsächlich im Erbgesetz[8] (im Weiteren: ErbG) geregelt.

[8] Pärimisseadus, RT I 2008, 7, 52; in Kraft getreten am 1.1.2009; zuletzt geändert am 20.3.2016.

I. Gesetzliche Erbfolge

 

Rz. 6

Die gesetzliche Erbfolge[9] tritt ein, wenn:

kein Testament oder Erbvertrag vorhanden ist oder das Testament oder der Erbvertrag nicht das ganze Vermögen des Erblassers umfasst;
das Testament für ungültig erklärt wurde;
die testamentarischen Erben oder die Erben nach dem Erbvertrag auf ihren Erbteil verzichtet haben oder gestorben sind und weitere Erben nicht eingesetzt sind, und sich aus dem Testament, dem Erbvertrag oder dem Gesetz auch weiter nicht ergibt, dass andere Personen an ihrer Stelle nach dem Testament oder dem Erbvertrag erben.

Die gesetzliche Erbfolge ist auch für die Ermittlung der Erben des Pflichtteils wesentlich.

Gesetzliche Erben sind der Ehegatte des Erblassers, die im ErbG genannten Verwandten, die Gemeinden und der Staat. Adoptivkinder und Adoptiveltern haben laut Familiengesetz[10] (im Weiteren: FamG) nach § 161 Abs. 2 den gleichen rechtlichen Status wie leibliche Kinder[11] und leibliche Eltern.

 

Rz. 7

Erbfähig ist jede rechtsfähige Person. Erbe kann sein:

eine natürliche Person, die zum Zeitpunkt des Erbfalles lebte;
eine natürliche Person, die zum Zeitpunkt des Erbfalles gezeugt war und danach lebend geboren wurde;
eine juristische Person, die zum Zeitpunkt des Erbfalles existierte;
eine Stiftung, die aufgrund einer Verfügung im Testament oder Erbvertrag gegründet wird.
 

Rz. 8

Erbunfähig ist eine natürliche Person, die:

vorsätzlich und widerrechtlich den Tod des Erblassers verursachte oder dies versuchte;
vorsätzlich und widerrechtlich den Erblasser in eine Lage versetzte, in der er bis zu seinem Tod unfähig war, seinen letzten Willen auszudrücken oder zu ändern;
den Erblasser durch Gewalt oder Täuschung daran hinderte, seinen letzten Willen auszudrücken oder zu ändern oder ihn auf gleiche Weise zwang, seinen letzten Willen aus...

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