Entscheidungsstichwort (Thema)
BEAMTE. RUHEGEHALT WEGEN DIENSTUNFAEHIGKEIT. BERUFSKRANKHEIT. Soziale Sicherheit. Versicherung gegen Unfälle und Berufskrankheiten. Dienstunfähigkeit. Unterschiedliche Regelungen. Statut. Autonome Auslegung. Begriff
Leitsatz (amtlich)
1. Die mit den Artikeln 73 und 78 des Beamtenstatuts eingeführten Regelungen sind voneinander verschieden und unabhängig. Im Gegensatz zu Artikel 73 ermächtigt Artikel 78 die Organe nicht, die Bedingungen für die Gewährung der Ruhegehälter wegen Dienstunfähigkeit festzusetzen. Die Durchführung seiner Bestimmungen unterliegt somit nur den Bedingungen der Artikel 13 bis 16 des Anhangs VIII des Statuts, die weder eine Definition der „Berufskrankheit” noch eine Verweisung auf Artikel 73 oder auf die Durchführungsvorschriften zu diesem Artikel enthalten.
Es würde deshalb der Systematik der erwähnten Vorschriften widersprechen, wenn für die Durchführung von Artikel 78 Absatz 2 des Statuts auf die Definition der „Berufskrankheit” in Artikel 3 der von den Organen aufgrund der ausdrücklichen Ermächtigung in Artikel 73 Absatz 1 im gegenseitigen Einvernehmen beschlossenen Regelung zur Sicherung der Beamten der Europäischen Gemeinschaften bei Unfällen und Berufskrankheiten Bezug genommen würde, was um so mehr gilt, wenn eine solche Bezugnahme eine Einschränkung der Rechte der Betroffenen zur Folge hätte.
2.Da das Beamtenstatut als autonomer Rechtstext der Gemeinschaften in seinem eigenen Zusammenhang und gemäß seinen eigenen Zielen auszulegen ist, kann für die Auslegung des Begriffs der Berufskrankheit in Artikel 78 Absatz 2 nicht auf die Verordnung Nr. 1408/71 Bezug genommen werden, die sich darauf beschränkt, die nationalen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit zu koordinieren.
3. Artikel 78 des Statuts ist so auszulegen, daß er solche Sachverhalte vom Anwendungsbereich des Absatzes 2 ausschließt, die sich ausschließlich vor dem Dienstantritt des Beamten zugetragen haben. Der Krankheitszustand des betreffenden Beamten muß in einem hinreichend direkten Zusammenhang mit einem spezifischen und typischen, der von ihm bei den Gemeinschaften ausgeuebten Tätigkeit anhaftenden Risiko stehen.
Es muß davon ausgegangen werden, daß ein Organ die finanzielle Verantwortung akzeptiert hat, die sich aus dem Risiko ergibt, daß die bereits bei der ärztlichen Untersuchung vor dem Dienstantritt nachgewiesene und sich aus dem Einatmen von Staub im Schacht ergebende chronische Lungenkrankheit eines Beamten zu einer Invalidität führt, die ihm die Ausübung seiner Tätigkeit unmöglich macht, wenn dieses Organ ihm Aufgaben zuweist, die es für ihn erforderlich machen, weiterhin unter Tage zu arbeiten, mit allen Risiken, die sich daraus für die Entwicklung seines Gesundheitszustands ergeben.
Der Umstand, daß das Vorliegen der Krankheit dem Gemeinschaftsorgan seit der Einstellung des Betroffenen bekannt war, und der Umstand, daß die Verschlimmerung der Krankheit aufgrund der Natur der dem Beamten übertragenen Aufgaben völlig vorhersehbar war, stellen darüber hinaus ein Bündel übereinstimmender Vermutungen dar, das ausreicht, um dem Gericht die Feststellung zu ermöglichen, daß die tatsächlich eingetretene Verschlimmerung der Krankheit in Ausübung oder anläßlich der Ausübung des Dienstes für die Gemeinschaften entstanden ist.
Normenkette
Beamtenstatut Art. 73, 78, 78 Abs. 2
Beteiligte
Kommission der Europäischen Gemeinschaften |
Tenor
1) Die Entscheidung der Kommission vom 20. Mai 1988, mit der die Anwendung von Artikel 78 Absatz 2 des Beamtenstatuts auf den Kläger abgelehnt und sein Ruhegehalt wegen Dienstunfähigkeit gemäß Artikel 78 Absatz 3 des Statuts festgesetzt wurde, wird aufgehoben.
2) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Sachverhalt
1 Die Kommission hatte während des schriftlichen Verfahrens eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben. Da der Bevollmächtigte der Kommission diese Einrede zu Beginn der mündlichen Verhandlung ausdrücklich zurückgenommen hat, wird im folgenden nur der Sachverhalt wiedergegeben, der im Zusammenhang mit der Begründetheit steht.
2 Der 1924 geborene Kläger begann 1948 nach achtjährigem Dienst als Luftwaffenpilot seine Berufslaufbahn in englischen Kohlenbergwerken. Er war nacheinander Bergarbeiter, Sprengmeister, Bergwerksdirektor, Bergwerksinspektor, Regionalbergwerksinspektor und schließlich Hauptbergwerksinspektor beim Ministerium in London. Von 1948 bis 1971 fuhr er fünf – bis siebenmal pro Woche in den Schacht ein. Daneben, von 1949 bis 1952, absolvierte er ein Studium zum Bergwerksingenieur und erwarb 1952 ein Diplom der Londoner Universität (BSc Honours in Engineering and Mining). Von 1971 bis 1974 fuhr er mehrere Male pro Monat in den Schacht ein. Bis ungefähr 1961 war er Raucher.
3 1974 wurde der Kläger aufgrund seiner umfangreichen Berufserfahrung von den Dienststellen der Kommission als Hauptverwaltungsrat eingestellt und der Abteilung „Sicherheitsfragen im Kohlenbergbau und in der Eisen – und Stahlindustrie” der Direktion „...