Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Gleichbehandlung. Sozialversicherungsabkommen zwischen dem Beschäftigungsstaat und einem Drittstaat. Kindergeld. Anwendung auf einen Grenzgänger, der weder Staatsangehöriger eines der Vertragsstaaten des Abkommens ist noch seinen Wohnsitz in einem von ihnen hat
Normenkette
Verfahrensordnung des Gerichtshofs Art. 99; AEUV Art. 45; EGV Nr. 883/2004 Art. 4
Beteiligte
Caisse pour l'avenir des enfants |
Caisse pour l'avenir des enfants |
Tenor
Art. 45 AEUV in Verbindung mit Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass er der Weigerung der zuständigen Behörden eines ersten Mitgliedstaats entgegensteht, einem Staatsangehörigen eines zweiten Mitgliedstaats, der im ersten Mitgliedstaat arbeitet, ohne dort wohnhaft zu sein, Familienleistungen für sein Kind, das mit seiner Mutter in einem Drittstaat wohnt, zu zahlen, wenn diese zuständigen Behörden bei Vorliegen derselben Voraussetzungen für die Gewährung dieser Leistungen aufgrund eines bilateralen internationalen Abkommens zwischen dem ersten Mitgliedstaat und dem Drittstaat den Anspruch auf die Familienleistungen für ihre eigenen Staatsangehörigen bzw. Einwohner anerkennen, es sei denn, diese Behörden können eine objektive Rechtfertigung für ihre Weigerung vorbringen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil supérieur de la sécurité sociale (Oberstes Schiedsgericht der Sozialversicherung, Luxemburg) mit Entscheidung vom 17. Dezember 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Dezember 2018, in dem Verfahren
EU
gegen
Caisse pour l'avenir des enfants
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin C. Toader sowie der Richter A. Rosas (Berichterstatter) und M. Safjan,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 45 AEUV, der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77, und Berichtigung ABl. 2004, L 229, S. 35) sowie von Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, und Berichtigung ABl. 2004, L 200, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen EU und der Caisse pour l'avenir des enfants (Zukunftskasse, Luxemburg) wegen deren Weigerung, dem Kind von EU, das mit seiner Mutter in einem Drittstaat wohnt, Kindergeld zu zahlen.
Rechtlicher Rahmen
Sozialversicherungsabkommenvon 1965
Rz. 3
Das Sozialversicherungsabkommen zwischen dem Großherzogtum Luxemburg und den Vereinigten Staaten von Brasilien, das am 16. September 1965 in Rio de Janeiro unterzeichnet wurde (Mémorial A 1966, S. 621), in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: Sozialversicherungsabkommen von 1965) bestimmt in Art. 1:
„Das vorliegende Abkommen regelt die soziale Sicherheit der Staatsangehörigen der Hohen Vertragsparteien unter Wahrung der Gleichbehandlung.”
Rz. 4
Art. 2 dieses Abkommens bestimmt:
„Dieses Abkommen gilt für Kranken-, Mutterschafts-, Invaliditäts-, Renten-, Todesfalls- und Unfallversicherungen sowie Familienleistungen (ausgeschlossen sind beitragsunabhängig erbrachte Geburtsbeihilfen).”
Rz. 5
Art. 3 Abs. 1 dieses Abkommens lautet:
„Angehörige eines der beiden Vertragsstaaten, die gewöhnlich im Hoheitsgebiet eines dieser Staaten arbeiten, unterliegen den Rechtsvorschriften dieses Vertragsstaats.”
Rz. 6
Art. 4 dieses Abkommens bestimmt:
„Angehörige eines Vertragsstaats, die Anspruch auf Geldleistungen haben, erhalten diese Leistungen vollständig und unbeschränkt, solange sie ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines der Vertragsstaaten haben.”
Verordnung Nr. 883/2004
Rz. 7
Art. 4 der Verordnung Nr. 883/2004 sieht vor:
„Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates.”
Luxemburgisches Recht
Rz. 8
Das Sozialversicherungsabkommen von 1965 wurde vom Großherzogtum Luxemburg mit Gesetz vom 12. Juli 1966 (Mémorial A 1966, S. 620) angenommen.
Rz. 9
Art. 269 Abs. ...