Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbraucherverträge. Hypothekendarlehensvertrag. Hypothekenvollstreckungsverfahren. Befugnisse des nationalen Vollstreckungsrichters. Missbräuchliche Klauseln. Beurteilungskriterien
Normenkette
Richtlinie 93/13/EWG; Verfahrensordnung des Gerichtshofs Art. 99 § 1
Beteiligte
Maria Teodolinda Rivas Quichimbo |
Joaquín Valldeperas Tortosa |
María Ángeles Miret Jaume |
Tenor
1. Die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die dem Vollstreckungsgericht im Rahmen eines Hypothekenvollstreckungsverfahrens nicht erlaubt, von Amts wegen oder auf Antrag des Verbrauchers die Missbräuchlichkeit einer Klausel des der Forderung und dem Vollstreckungstitel zugrunde liegenden Vertrags zu prüfen oder vorläufige Maßnahmen, insbesondere solche zur Aussetzung der Vollstreckung zu treffen, wenn der Erlass dieser Maßnahmen erforderlich ist, um die volle Wirksamkeit der Endentscheidung des Gerichts des Erkenntnisverfahrens, das für die Prüfung der Missbräuchlichkeit dieser Klausel zuständig ist, zu gewährleisten.
2. Art. 3 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 93/13 und deren Anhang Nr. 1 Buchst. e und g sowie Nr. 2 Buchst. a sind dahin auszulegen, dass es für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit einer Klausel über die vorzeitige Fälligstellung eines Hypothekendarlehens wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden insbesondere darauf ankommt,
- ob die Möglichkeit für den Gewerbetreibenden, den Vertrag einseitig zu kündigen, davon abhängt, dass der Verbraucher eine Verpflichtung nicht erfüllt hat, die im Rahmen der fraglichen vertraglichen Beziehungen wesentlich ist,
- ob diese Möglichkeit für Konstellationen vorgesehen ist, in denen eine solche Nichterfüllung im Verhältnis zur Laufzeit und zur Höhe des Darlehens hinreichend schwerwiegend ist,
- ob die genannte Möglichkeit von den Vorschriften abweicht, die in Ermangelung einer Vereinbarung zwischen den Parteien anwendbar wären, und dadurch für den Verbraucher vor dem Hintergrund der ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Mittel der Zugang zum Gericht und die Ausübung der Verteidigungsrechte erschwert wird, und
- ob das nationale Recht angemessene und wirksame Mittel vorsieht, die es dem Verbraucher, dem gegenüber eine derartige Klausel zur Anwendung kommt, ermöglichen, die Wirkungen der einseitigen Kündigung des Darlehensvertrags wieder zu beseitigen.
Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, dies unter Berücksichtigung aller Umstände des bei ihm anhängigen Falls zu beurteilen.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de Primera Instancia e Instrucción n° 1 de Catarroja (Spanien) und vom Juzgado de Primera Instancia n° 17 de Palma de Mallorca (Spanien) mit Entscheidungen vom 15. November 2012 und vom 26. Februar 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 26. November 2012 bzw. am 11. März 2013, in den Verfahren
Banco Popular Español SA
gegen
Maria Teodolinda Rivas Quichimbo,
Wilmar Edgar Cun Pérez (C-537/12)
und
Banco de Valencia SA
gegen
Joaquín Valldeperas Tortosa,
María Ángeles Miret Jaume (C-116/13)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano (Berichterstatter), der Richter A. Borg Barthet und E. Levits, der Richterin M. Berger sowie des Richters S. Rodin,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund der nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S. 29).
Rz. 2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten zwischen der Banco Popular Español SA (im Folgenden: Banco Popular) und Frau Rivas Quichimbo und Herrn Cun Pérez einerseits und zwischen der Banco de Valencia SA (im Folgenden: Banco de Valencia) und Herrn Valldeperas Tortosa und Frau Miret Jaume andererseits über die Beitreibung von Schulden aus zwischen diesen Parteien geschlossenen Hypothekendarlehensverträgen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Im 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 heißt es:
„… Dem Gebot von Treu und Glauben kann durch den Gewerbetreibenden Genüge getan werden, indem er sich gegenüber der anderen Partei, deren berechtigten Interessen er Rechnung tragen muss, loyal und billig verhält.”
Rz. 4
Art. 3 dieser Richtlinie sieht vor:
„(1) Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis...