Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs. Fehlen eines vernünftigen Zweifels. Gerichtliche Zuständigkeit in Ehesachen. Bestimmung des Zeitpunkts, zu dem ein Gericht angerufen ist. Begriff ‚Zeitpunkt, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei Gericht eingereicht wurde’

 

Normenkette

Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 Art. 16 Abs. 1 Buchst. a

 

Beteiligte

M.H

M. H

M. H

 

Tenor

Art. 16 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 ist dahin auszulegen, dass der „Zeitpunkt, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei Gericht eingereicht wurde”, im Sinne dieser Vorschrift der Zeitpunkt ist, zu dem die Einreichung bei dem betreffenden Gericht erfolgt, auch wenn durch die Einreichung als solche nicht sofort das Verfahren nach nationalem Recht eingeleitet wird.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Court of Appeal (Berufungsgericht, Irland) mit Entscheidung vom 18. März 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 29. März 2016, in dem Verfahren

M. H.

gegen

M. H.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev sowie der Richter C. G. Fernlund (Berichterstatter) und S. Rodin,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, nach Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 16 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. 2003, L 338, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Verfahrens zwischen M. H. und M. H. betreffend das Zerbrechen der familiären Bindungen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 16 „Anrufung eines Gerichts”) der Verordnung Nr. 2201/2003 bestimmt in Abs. 1:

„Ein Gericht gilt als angerufen

  1. zu dem Zeitpunkt, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück bei Gericht eingereicht wurde, vorausgesetzt, dass der Antragsteller es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstücks an den Antragsgegner zu bewirken,

    oder

  2. falls die Zustellung an den Antragsgegner vor Einreichung des Schriftstücks bei Gericht zu bewirken ist, zu dem Zeitpunkt, zu dem die für die Zustellung verantwortliche Stelle das Schriftstück erhalten hat, vorausgesetzt, dass der Kläger es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um das Schriftstück bei Gericht einzureichen.”

Rz. 4

Art. 19 Abs. 1 und 3 dieser Verordnung sieht vor:

„(1) Werden bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Anträge auf Ehescheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder Ungültigerklärung einer Ehe zwischen denselben Parteien gestellt, so setzt das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts geklärt ist.

(3) Sobald die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht, erklärt sich das später angerufene Gericht zugunsten dieses Gerichts für unzuständig.

In diesem Fall kann der Antragsteller, der den Antrag bei dem später angerufenen Gericht gestellt hat, diesen Antrag dem zuerst angerufenen Gericht vorlegen.”

Irisches Recht

Rz. 5

Nach den in Irland anwendbaren Verfahrensvorschriften, wie sie das vorlegende Gericht dargelegt hat, ist ein Verfahren eröffnet, wenn die Ladungsschrift „summons”) von der Geschäftsstelle des betreffenden Gerichts ausgefertigt „issued”) wird. Die Zustellung der Ladungsschrift muss nicht vor der Eröffnung des Verfahrens erfolgen. Nach ihrer Ausfertigung wird die Ladungsschrift dem Antragsgegner zugestellt.

Rz. 6

Auch wenn das Verfahren erst dann als anhängig gilt, wenn es durch Ausfertigung der Ladungsschrift eröffnet wurde, ist das betreffende Gericht dennoch befugt, schon vor der Ausfertigung eine Entscheidung in diesem Verfahren zu erlassen. Dies geschieht in Familiensachen in dringenden Fällen.

Recht des Vereinigten Königreichs

Rz. 7

Gemäß der Vorlageentscheidung ähneln die im Vereinigten Königreich (England und Wales) anwendbaren Verfahrensvorschriften den in Irland anwendbaren Vorschriften, die in den Rn. 5 und 6 des vorliegenden Beschlusses dargelegt wurden. Anstelle einer Ladungsschrift ist das verfahrenseinleitende Schriftstück allerdings eine Antragsschrift „petition”).

Ausgangsverfahren und Vorlag...

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