Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung -Unionsbürgerschaft. Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Vom Geburtsmitgliedstaat des Kindes ausgestellte Geburtsurkunde, in der zwei Mütter für dieses Kind angegeben werden. Weigerung des Herkunftsmitgliedstaats einer dieser beiden Mütter, diese Geburtsurkunde in das nationale Personenstandsregister zu übertragen. Übertragung dieses Dokuments als Voraussetzung für die Ausstellung von Ausweispapieren. Nationale Regelung dieses Herkunftsmitgliedstaats, die keine Elternschaft von Personen desselben Geschlechts zulässt
Normenkette
Verfahrensordnung des Gerichtshofs Art. 99; AEUV Art. 20-21
Beteiligte
Rzecznik Praw Obywatelskich |
Rzecznik Praw Obywatelskich |
Tenor
Die Art. 20 und 21 AEUV in Verbindung mit den Art. 7 und 24 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie mit Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG sind dahin auszulegen, dass im Fall eines minderjährigen Kindes, das Unionsbürger ist und dessen von den Behörden eines Mitgliedstaats ausgestellte Geburtsurkunde zwei Personen gleichen Geschlechts als seine Eltern ausweist, der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger dieses Kind ist, zum einen verpflichtet ist, ihm einen Personalausweis oder Reisepass auszustellen, ohne die vorherige Übertragung einer Geburtsurkunde dieses Kindes in das nationale Personenstandsregister zu verlangen, sowie zum anderen wie jeder andere Mitgliedstaat das aus einem anderen Mitgliedstaat stammende Dokument anzuerkennen hat, das es diesem Kind ermöglicht, mit jeder dieser beiden Personen sein Recht ungehindert auszuüben, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Wojewódzki Sąd Administracyjny w Krakowie (Woiwodschaftsverwaltungsgericht Kraków [Krakau], Polen) mit Entscheidung vom 9. Dezember 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Januar 2021, in dem Verfahren
Rzecznik Praw Obywatelskich,
Beteiligte:
K.S.,
S.V.D.,
Prokurator Prokuratury Okręgowej w Krakowie M. C.,
Prokuratura Krajowa,
Kierownik Urzędu Stanu Cywilnego w Krakowie,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten I. Jarukaitis sowie der Richter M. Ilešič (Berichterstatter) und D. Gratsias,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund der nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 20 Abs. 2 Buchst. a und Art. 21 Abs. 1 AEUV sowie von Art. 7, Art. 21 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Rzecznik Praw Obywatelskich (nationaler Bürgerbeauftragter, Polen) und dem Kierownik Urzędu Stanu Cywilnego w Krakowie (Leiter des Standesamts der Stadt Kraków, Polen) (im Folgenden: Leiter des Standesamts) wegen der Weigerung des Letzteren, die von den spanischen Behörden ausgestellte Geburtsurkunde der Tochter von K.S. und ihrer Ehefrau S.V.D. in das polnische Personenstandsregister zu übertragen.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Rz. 3
Art. 2 des am 20. November 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommenen Übereinkommens über die Rechte des Kindes (United Nations Treaty Series, Bd. 1577, S. 3) bestimmt:
„(1) Die Vertragsstaaten achten die in diesem Übereinkommen festgelegten Rechte und gewährleisten sie jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Kind ohne jede Diskriminierung unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung, der Geburt oder des sonstigen Status des Kindes, seiner Eltern oder seines Vormunds.
(2) Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, dass das Kind vor allen Formen der Diskriminierung oder Bestrafung wegen des Status, der Tätigkeiten, der Meinungsäußerungen oder der Weltanschauung seiner Eltern, seines Vormunds oder seiner Familienangehörigen geschützt wird.”
Rz. 4
Art. 7 dieses Übereinkommens lautet:
„(1) Das Kind ist unverzüglich nach seiner Geburt in ein Register einzutragen und hat das Recht auf einen Namen von Geburt an, das Recht, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben, und soweit möglich das Recht, seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werd...