Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens. Durchführung einer mündlichen Verhandlung
Beteiligte
Tenor
1. In der Rechtssache C-524/15 wird das mündliche Verfahren wiedereröffnet.
2. Der Termin für die mündliche Verhandlung wird später bestimmt.
3. Die in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten werden aufgefordert, binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses mit Schriftsätzen, die 20 Seiten nicht überschreiten sollten, zu den im Anhang aufgeführten Fragen Stellung zu nehmen.
4. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale di Bergamo (Gericht Bergamo, Italien) mit Entscheidung vom 16. September 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Oktober 2015, in dem Strafverfahren gegen
Luca Menci
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten M. Ilešič, T. von Danwitz (Berichterstatter) und E. Juhász, der Richter J. Malenovský, E. Levits, J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev, C. Vajda, S. Rodin und F. Biltgen, der Richterin K. Jürimäe und des Richters C. Lycourgos,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
nach Anhörung des Generalanwalts
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Herrn Luca Menci wegen ihm zur Last gelegter Mehrwertsteuerdelikte, für die ihm bereits eine unwiderrufliche Verwaltungssanktion auferlegt wurde.
Rz. 3
Mit Beschlüssen des Präsidenten des Gerichtshofs vom 24. September und vom 21. Oktober 2015 ist die Rechtssache C-524/15 mit den Rechtssachen C-217/15 und C-350/15 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
Rz. 4
Am 12. Juli 2016 hat der Gerichtshof entschieden, diese Rechtssachen an die Vierte Kammer zu verweisen. Die mündliche Verhandlung fand am 8. September 2016 statt. Vor der Verlesung der Schlussanträge wurde durch Beschluss des Präsidenten der Vierten Kammer des Gerichtshofs vom 30. November 2016 die Verbindung der Rechtssache C-524/15 mit den Rechtssachen C-217/15 und C-350/15 wieder aufgehoben.
Rz. 5
Am 15. November 2016 hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) das Urteil A und B gegen Norwegen (CE:ECHR:2016:1115JUD002413011) erlassen. Darin hat der EGMR entschieden, dass eine Kumulierung steuer- und strafrechtlicher Sanktionen, mit denen dieselben Steuerdelikte geahndet würden, nicht gegen den in Art. 4 des Protokolls Nr. 7 zu der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankerten Grundsatz ne bis in idem verstoße. Auch wenn die in den genannten Rechtssachen in Rede stehenden steuerrechtlichen Sanktionen strafrechtlichen Charakter hätten und vor Verhängung der strafrechtlichen Sanktionen bestandskräftig geworden seien, liege keine nach Art. 4 verbotene erneute Verfolgung oder Bestrafung vor, da die in Rede stehenden Steuer- und Strafverfahren einen „hinreichend engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang” aufgewiesen hätten (Urteil des EGMR, 15. November 2016, A und B gegen Norwegen, CE:ECHR:2016:1115JUD002413011, §§ 130, 147, 153 und 154).
Rz. 6
In Anbetracht der Bedeutung der Fragen, die dieses Urteil des EGMR für die Auslegung von Art. 50 der Charta aufwirft, hat die Vierte Kammer des Gerichtshofs am 30. November 2016 gemäß Art. 60 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs beschlossen, die Rechtssache an den Gerichtshof zu verweisen, der sie der Großen Kammer zugewiesen hat.
Rz. 7
Der Gerichtshof hält es daher für angebracht, gemäß Art. 83 der Verfahrensordnung die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens zu beschließen, damit sich die in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten zu diesen Fragen äußern können.
Fundstellen
Dokument-Index HI10764531 |