Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Information der Verbraucher über Lebensmittel. Verpflichtende Angabe des Ursprungslands oder des Herkunftsorts von Lebensmitteln. Mögliche Irreführung der Verbraucher durch eine Unterlassung. Speziell harmonisierte Aspekte. Erlass nationaler Vorschriften, die für bestimmte Arten oder Klassen von Lebensmitteln zusätzliche verpflichtende Angaben hinsichtlich des Ursprungslands oder des Herkunftsorts vorschreiben. Voraussetzungen. Nachweislich bestehende Verbindung zwischen einer oder mehreren Qualitäten der betreffenden Lebensmittel und ihrem Ursprung oder ihrer Herkunft. Begriffe ‚nachweislich [bestehende] Verbindung’ und ‚Qualitäten’. Nachweis, dass die Mehrheit der Verbraucher diesen Informationen wesentliche Bedeutung beimisst. Nationale Maßnahme, die die verpflichtende Angabe des nationalen, des europäischen oder des nicht europäischen Ursprungs von Milch vorsieht
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 Art. 9 Abs. 1 Buchst. i, Art. 26 Abs. 2 Buchst. a, Art. 38 Abs. 1, Art. 39 Abs. 2
Beteiligte
Garde des Sceaux, ministre de la Justice |
Ministre de l'Agriculture et de l'Alimentation |
Ministre de l'Économie et des Finances |
Tenor
1. Art. 26 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission ist dahin auszulegen, dass die verpflichtende Angabe des Ursprungslands oder des Herkunftsorts von Milch und als Zutat verwendeter Milch als „speziell durch diese Verordnung harmonisierter Aspekt” im Sinne von Art. 38 Abs. 1 dieser Verordnung anzusehen ist, falls ohne diese Angabe eine Irreführung der Verbraucher möglich wäre, und dass er es den Mitgliedstaaten nicht verwehrt, auf der Grundlage von Art. 39 dieser Verordnung Vorschriften zu erlassen, die zusätzliche verpflichtende Angaben vorschreiben, sofern diese mit dem Ziel vereinbar sind, das der Unionsgesetzgeber mit der speziellen Harmonisierung des Aspekts der verpflichtenden Angabe des Ursprungslands oder des Herkunftsorts verfolgt hat, und mit dieser Angabe ein kohärentes Ganzes bilden.
2. Art. 39 der Verordnung Nr. 1169/2011 ist dahin auszulegen, dass, wenn es um nationale Vorschriften geht, die im Hinblick auf Abs. 1 dieses Artikels durch den Verbraucherschutz gerechtfertigt sind, die beiden in Abs. 2 dieses Artikels genannten Anforderungen, nämlich dass zum einen „nachweislich eine Verbindung zwischen bestimmten Qualitäten des Lebensmittels und seinem Ursprung oder seiner Herkunft besteht” und dass zum anderen „[nachgewiesen wird,] dass die Mehrheit der Verbraucher diesen Informationen wesentliche Bedeutung beimisst”, nicht zusammen zu verstehen sind, so dass das Bestehen dieser nachweislichen Verbindung nicht beurteilt werden kann, indem allein subjektive Kriterien zugrunde gelegt werden, die sich auf die Bedeutung der Assoziation beziehen, die die Mehrheit der Verbraucher zwischen bestimmten Qualitäten des betreffenden Lebensmittels und seinem Ursprung oder seiner Herkunft herstellen kann.
3. Art. 39 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1169/2011 ist dahin auszulegen, dass der Begriff „Qualitäten des Lebensmittels” die Transporteignung eines Lebensmittels und seine fehlende Anfälligkeit gegenüber den Risiken eines unterwegs eintretenden Verderbs nicht umfasst, so dass diese Merkmale bei der Beurteilung einer eventuell „nachweislich [bestehenden] Verbindung zwischen bestimmten Qualitäten des Lebensmittels und seinem Ursprung oder seiner Herkunft” im Sinne dieser Bestimmung nicht zum Tragen kommen können.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d'État (Staatsrat, Frankreich) mit Entscheidung vom 27. Juni 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Juli 2018, in dem Verfahren
Groupe Lactalis
gegen
Premier ministre,
Garde des Sceaux, ministre de la Justice,
Ministre de l'Agriculture et de l'Alimentation,
Ministre de l'Économie et des Finances
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin L. S. Rossi sowie der Richter J. Malenovský (Berichterstatter), F. Biltgen und N. Wahl,
Generalanwalt: G. Hogan,
Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juni 2020,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Groupe Lactalis, vertreten durch F. Molinié und S. Bensusan, avocats,
- der französischen Regierung, vertreten durch A.-L. Desjonquères und C. Mosser als B...