Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Bestehende und neue Beihilfen. Begriff ‚neue Beihilfe’. Erstattung einer Dividendensteuer. Regelung, die auf Gesellschaften mit Sitz außerhalb des betreffenden Mitgliedstaats ausgeweitet wurde. Freier Kapitalverkehr. Pflichten der nationalen Gerichte
Beteiligte
Inspecteur van de Belastingdienst |
Tenor
Die Art. 107 und 108 AEUV sind dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht die Vereinbarkeit eines Sitzerfordernisses wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende mit Art. 56 Abs. 1 EG, jetzt Art. 63 Abs. 1 AEUV, nicht beurteilen darf, falls die betreffende Regelung über die Erstattung der Dividendensteuer eine Beihilferegelung darstellt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Gerechtshof 's-Hertogenbosch (Berufungsgericht Herzogenbusch, Niederlande) mit Entscheidung vom 12. Oktober 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Oktober 2017, in dem Verfahren
A-Fonds
gegen
Inspecteur van de Belastingdienst
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot (Berichterstatter), der Richterin C. Toader sowie der Richter A. Rosas, L. Bay Larsen und M. Safjan,
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von A-Fonds, vertreten durch R. van der Jagt,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch P.-J. Loewenthal, A. Bouchagiar, S. Noë und N. Gossement als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. Dezember 2018
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 107 und 108 AEUV.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen A-Fonds und dem Inspecteur van de Belastingdienst (Beamter der niederländischen Finanzverwaltung, im Folgenden: Inspecteur) wegen Erstattung von der niederländischen Finanzverwaltung einbehaltener Dividendensteuer.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Nach Art. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags (ABl. 1999, L 83, S. 1) sind „neue Beihilfen” „alle Beihilfen, also Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen, die keine bestehenden Beihilfen sind, einschließlich Änderungen bestehender Beihilfen”.
Rz. 4
Art. 1 Buchst. c der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 [AEUV] (ABl. 2015, L 248, S. 9) sieht Bestimmungen vor, die mit den in der vorstehenden Randnummer genannten identisch sind.
Rz. 5
Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 794/2004 der Kommission vom 21. April 2004 zur Durchführung der Verordnung Nr. 659/1999 (ABl. 2004, L 140, S. 1) sieht vor:
„Für den Zweck von Artikel 1 Buchstabe c) der Verordnung … Nr. 659/1999 ist die Änderung einer bestehenden Beihilfe jede Änderung, außer einer Änderung rein formaler oder verwaltungstechnischer Art, die keinen Einfluss auf die Würdigung der Vereinbarkeit der Beihilfemaßnahme mit dem Gemeinsamen Markt haben kann. Eine Erhöhung der Ausgangsmittel für eine bestehende Beihilfe bis zu 20 % wird jedoch nicht als Änderung einer bestehenden Beihilfe angesehen.”
Niederländisches Recht
Die Wet Vpb 1969
Rz. 6
Die Wet op de vennootschapsbelasting (Körperschaftsteuergesetz) vom 8. Oktober 1969 in ihrer auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: Wet Vpb 1969) sieht in ihrem Art. 2 Abs. 1 Buchst. f und g Folgendes vor:
„Folgende Einrichtungen mit Sitz in den Niederlanden unterliegen der Steuer als nationale Steuerpflichtige:
…
f) Investmentfonds;
g) die in Abs. 3 genannten, von juristischen Personen des öffentlichen Rechts betriebenen Einrichtungen.”
Rz. 7
Art. 2 Abs. 3 der Wet Vpb 1969 enthält eine Liste mit Unternehmen, die in bestimmten Wirtschaftssektoren tätig sind.
Rz. 8
Einrichtungen, bei denen ausschließlich niederländische juristische Personen des öffentlichen Rechts unmittelbar oder mittelbar Anteilseigner, Gesellschafter oder Mitglied sind, sowie Einrichtungen, deren Vorstand ausschließlich von niederländischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts unmittelbar oder mittelbar ernannt und abberufen wird und deren Vermögen im Fall einer Abwicklung ausschließlich niederländischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts zur Verfügung gestellt wird, „unterliegen” gemäß Art. 2 Abs. 7 der Wet Vpb 1969 „der Steuer nur, soweit sie ein Unternehmen im Sinne von Abs. 3 betreiben”.
Die Wet DB 1965
Rz. 9
Die Wet op de dividendbelasting (Gesetz über die Dividendensteuer) von 1965 (im Folgenden: Wet DB 1965) wurde in dem Zeitraum, zu dem sich der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende Sachverhalt ereignete, mehrfach geändert.
Rz. 10
In der vom vorlegenden Gericht wiedergegebenen ab dem 11. Juli 2008 geltenden Fassung de...