Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechtsangleichung. Marken. Rechte aus der Marke. Beschränkung der Wirkungen der Marke. Unmöglichkeit für den Inhaber einer Marke, einem Dritten die Benutzung eines älteren Rechts von örtlicher Bedeutung im geschäftlichen Verkehr zu verbieten. Voraussetzungen. Begriff ‚älteres Recht’. Handelsname. Inhaber einer jüngeren Marke, der ein noch älteres Recht hat. Relevanz
Normenkette
Richtlinie 2008/95/EG Art. 5, 6 Abs. 2
Beteiligte
Classic Coach Company vof |
Tenor
1. Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ist dahin auszulegen, dass er für die Feststellung des Bestehens eines „älteren Rechts” im Sinne dieser Bestimmung nicht verlangt, dass der Inhaber dieses Rechts die Benutzung der jüngeren Marke durch ihren Inhaber verbieten kann.
2. Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2008/95 ist dahin auszulegen, dass einem Dritten ein „älteres Recht” im Sinne dieser Bestimmung in einer Situation zuerkannt werden kann, in der der Inhaber der jüngeren Marke ein noch älteres, nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats anerkanntes Recht an dem als Marke eingetragenen Zeichen hat, soweit der Inhaber der Marke und des noch älteren Rechts nach diesen Rechtsvorschriften die Benutzung des jüngeren Rechts durch den Dritten nicht mehr aufgrund seines noch älteren Rechts verbieten kann.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) mit Entscheidung vom 19. Februar 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Februar 2021, in dem Verfahren
X BV
gegen
Classic Coach Company vof,
Y,
Z
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten I. Jarukaitis sowie der Richter M. Ilešič (Berichterstatter) und D. Gratsias,
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der X BV, vertreten durch F. I. van Dorsser, Advocaat,
- der Classic Coach Company vof, von Y und von Z, vertreten durch M. G. Jansen, Advocaat,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch É. Gippini Fournier und P.-J. Loewenthal, dann durch P.-J. Loewenthal als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 2008, L 299, S. 25).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der X BV, einem Reisebusunternehmen, und der Classic Coach Company vof, ebenfalls einem Reisebusunternehmen (im Folgenden: Classic Coach), sowie zwei natürlichen Personen, Y und Z, über deren behauptete Verletzung der Benelux-Marke, deren Inhaberin X ist.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Pariser Verbandsübereinkunft
Rz. 3
Art. 1 Abs. 2 der am 20. März 1883 in Paris unterzeichneten Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums, zuletzt revidiert in Stockholm am 14. Juli 1967 und geändert am 28. September 1979 (UnitedNations Treaty Series, Bd. 828, Nr. 11851, S. 305, im Folgenden: Pariser Verbandsübereinkunft), bestimmt:
„Der Schutz des gewerblichen Eigentums hat zum Gegenstand die Erfindungspatente, die Gebrauchsmuster, die gewerblichen Muster oder Modelle, die Fabrik- oder Handelsmarken, die Dienstleistungsmarken, den Handelsnamen und die Herkunftsangaben oder Ursprungsbezeichnungen sowie die Unterdrückung des unlauteren Wettbewerbs.”
Rz. 4
Art. 8 der Pariser Verbandsübereinkunft sieht vor:
„Der Handelsname wird in allen Verbandsländern, ohne Verpflichtung zur Hinterlegung oder Eintragung, geschützt, gleichgültig, ob er einen Bestandteil einer Fabrik- oder Handelsmarke bildet oder nicht.”
TRIPS-Übereinkommen
Rz. 5
Das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (im Folgenden: TRIPS-Übereinkommen) in Anhang 1C des am 15. April 1994 in Marrakesch unterzeichneten Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) wurde mit dem Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986-1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche (ABl. 1994, L 336, S. 1) genehmigt.
Rz. 6
Art. 1 („Wesen und Umfang der Pflichten”) Abs. 2 des TRIPS-Übereinkommens sieht vor:
„Der Begriff ‚geistiges Eigentum’ im Sinne dieses Übereinkommens umfasst alle Arten des geistigen Eigentums, die Gegenstand der Abschnitte 1 bis 7 de...