Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Europäischer Haftbefehl. Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls. Wegfall der Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit. Voraussetzungen. Straftat, die im Ausstellungsmitgliedstaat mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist. Änderung des Strafrechts des Ausstellungsmitgliedstaats zwischen dem Zeitpunkt der Handlungen und dem Zeitpunkt der Ausstellung des Europäischen Haftbefehls. Bei der Prüfung der Schwelle des Höchstmaßes der Strafe von mindestens drei Jahren heranzuziehende Fassung des Gesetzes
Normenkette
Rahmenbeschluss 2002/584/JI Art. 2 Abs. 2
Beteiligte
Tenor
Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten ist dahin auszulegen, dass die vollstreckende Justizbehörde bei der Prüfung, ob die Straftat, wegen der ein Europäischer Haftbefehl ausgestellt worden ist, im Ausstellungsmitgliedstaat nach der Ausgestaltung in dessen Recht mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht ist, das Recht des Ausstellungsmitgliedstaats in der für die Handlungen, die zu der Rechtssache geführt haben, in deren Rahmen der Europäische Haftbefehl erlassen wurde, geltenden Fassung heranzuziehen hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hof van beroep te Gent (Appellationshof Gent, Belgien) mit Entscheidung vom 7. November 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 15. November 2018, in dem Verfahren wegen der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gegen
X
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev, E. Regan und P. G. Xuereb, der Kammerpräsidentin L. S. Rossi (Berichterstatterin), des Kammerpräsidenten I. Jarukaitis, der Richter M. Ilešič, J. Malenovský, L. Bay Larsen und T. von Danwitz, der Richterinnen C. Toader und K. Jürimäe sowie des Richters C. Lycourgos,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. September 2019,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Procureur-generaal, vertreten durch I. De Tandt,
- von X, vertreten durch S. Bekaert und P. Bekaert, advocaten, und durch G. Boye, abogado,
- der belgischen Regierung, vertreten durch C. Van Lul, C. Pochet und J.-C. Halleux als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, zunächst vertreten durch M. Sampol Pucurull, dann durch S. Centeno Huerta als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Grünheid und R. Troosters als Bevollmächtigte.
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. November 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. 2002, L 190, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen der Vollstreckung eines von der Audiencia Nacional (Nationaler Gerichtshof, Spanien) gegen X erlassenen Europäischen Haftbefehls in Belgien.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 5 und 6 des Rahmenbeschlusses 2002/584 lauten:
„(5) Aus dem der [Europäischen] Union gesetzten Ziel, sich zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu entwickeln, ergibt sich die Abschaffung der Auslieferung zwischen Mitgliedstaaten und deren Ersetzung durch ein System der Übergabe zwischen Justizbehörden. Die Einführung eines neuen, vereinfachten Systems der Übergabe von Personen, die einer Straftat verdächtigt werden oder wegen einer Straftat verurteilt worden sind, für die Zwecke der strafrechtlichen Verfolgung oder der Vollstreckung strafrechtlicher Urteile ermöglicht zudem die Beseitigung der Komplexität und der Verzögerungsrisiken, die den derzeitigen Auslieferungsverfahren innewohnen. Die bislang von klassischer Kooperation geprägten Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten sind durch ein System des freien Verkehrs strafrechtlicher justizieller Entscheidungen – und zwar sowohl in der Phase vor der Urteilsverkündung als auch in der Phase danach – innerhalb des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu ersetzen.
(6) Der Europäische Haftbefehl im Sinne des vorliegenden Rahmenbeschlusses stellt im strafrechtlichen Bereich die erste konkrete Verwirklichung des vom Europäischen Rat als ‚Eckstein’ der justiziellen Zusammenarbeit qualifizierten Prinzips der gegenseitigen Anerkennung dar.”
Rz. 4
Art. 2 („Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls”) des Rahmenbeschlusses sieht vor:
„(1) Ein Europäischer Haftbefehl kann bei Handlungen erlassen werden, die nach...