Entscheidungsstichwort (Thema)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Ausschließliche Zuständigkeit. Rechtsstreitigkeiten, die dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben. Natur des Vorkaufsrechts. Rechtshängigkeit. Begriff der Klagen, die wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden. Verhältnis zwischen Art. 22 Nr. 1 und Art. 27 Abs. 1 VO (EG) Nr. 44/2001. Im Zusammenhang stehende Verfahren. Beurteilungskriterien für die Aussetzung des Verfahrens
Normenkette
VO (EG) Nr. 44/2001 Art. 22 Nr. 1, Art. 27 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1
Beteiligte
Tenor
1. Art. 22 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass zur Kategorie der Rechtsstreitigkeiten, „welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen … zum Gegenstand haben”, im Sinne dieser Vorschrift eine Klage gehört, die – wie die hier bei dem Gericht eines anderen Mitgliedstaats erhobene – auf Feststellung der Ungültigkeit der Ausübung eines Vorkaufsrechts gerichtet ist, das an diesem Grundstück besteht und gegenüber jedermann wirkt.
2. Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 ist dahin auszulegen, dass das später angerufene Gericht, bevor es das Verfahren gemäß dieser Vorschrift aussetzt, prüfen muss, ob eine etwaige Sachentscheidung des zuerst angerufenen Gerichts nach Art. 35 Abs. 1 dieser Verordnung wegen Verletzung der in ihrem Art. 22 Nr. 1 vorgesehenen ausschließlichen Zuständigkeit in den übrigen Mitgliedstaaten nicht anerkannt würde.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht München (Deutschland) mit Entscheidung vom 16. Februar 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 2. Oktober 2012, in dem Verfahren
Irmengard Weber
gegen
Mechthilde Weber
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richter C. G. Fernlund und A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Oktober 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Irmengard Weber, vertreten durch Rechtsanwalt A. Seitz,
- von Mechthilde Weber, vertreten durch Rechtsanwalt A. Kloyer, F. Calmetta, avvocato, und H. Prütting,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Kemper als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. Beeko als Bevollmächtigte im Beistand von M. Gray, Barrister,
- der Schweizer Regierung, vertreten durch D. Klingele als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Bogensberger und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. Januar 2014
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 22 Nr. 1, 27 und 28 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem Frau Irmengard Weber (im Folgenden: Frau I. Weber) die Verurteilung ihrer Schwester Frau Mechthilde Weber (im Folgenden: Frau M. Weber) zur Bewilligung der Eintragung von Frau I. Weber als Eigentümerin in das Grundbuch begehrt.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Im zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 heißt es:
„Die Unterschiede zwischen bestimmten einzelstaatlichen Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen erschweren das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts. Es ist daher unerlässlich, Bestimmungen zu erlassen, um die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen und die Formalitäten im Hinblick auf eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus den durch diese Verordnung gebundenen Mitgliedstaaten zu vereinfachen.”
Rz. 4
Der 15. Erwägungsgrund dieser Verordnung lautet:
„Im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege müssen Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden, damit nicht in zwei Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. Es sollte eine klare und wirksame Regelung zur Klärung von Fragen der Rechtshängigkeit und der im Zusammenhang stehenden Verfahren sowie zur Verhinderung von Problemen vorgesehen werden, die sich aus der einzelstaatlich unterschiedlichen Festlegung des Zeitpunkts ergeben, von dem an ein Verfahren als rechtshängig gilt. Für die Zwecke dieser Verordnung sollte dieser Zeitpunkt autonom festgelegt werden.”
Rz. 5
Im 16. Erwägungsgrund der Verordnung heißt es:
„Das gegenseitige Vertrauen in d...