Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Grundsatz der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Verbot der Diskriminierung wegen des Alters. Nationale Regelung, mit der eine Altersgrenze von 50 Jahren für den Zugang zum Notarberuf festgelegt wird. Rechtfertigung
Normenkette
Richtlinie 2000/78/EG Art. 6 Abs. 1; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 21
Beteiligte
Ministero della Giustizia |
Ministero della Giustizia |
Tenor
Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die für die Zulassung zum Auswahlverfahren für den Zugang zum Notarberuf eine Altersgrenze von 50 Jahren festlegt, da eine solche Regelung nicht die Ziele der Gewährleistung, dass dieser Beruf während eines erheblichen Zeitraums vor dem Eintritt in den Ruhestand kontinuierlich ausgeübt wird, der Sicherstellung der ordnungsgemäßen Ausübung der notariellen Befugnisse sowie der Erleichterung des Generationenwechsels und der Verjüngung dieses Berufsstands zu verfolgen scheint und jedenfalls über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinausgeht, was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) mit Entscheidung vom 19. September 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Dezember 2019, in dem Verfahren
Ministero della Giustizia
gegen
GN,
Beteiligte:
HM,
JL,
JJ,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter), der Richter A. Kumin, T. von Danwitz und P. G. Xuereb sowie der Richterin I. Ziemele,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von GN, vertreten durch A. Police, G. Schettino und F. Ferraro, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Varrone und G. Santini, avvocati dello Stato,
- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Hellmann und J. Möller als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 10 AEUV, Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Ministero della Giustizia (Justizministerium, Italien) und GN über die mit dem Dekret des Generaldirektors des Justizministeriums vom 21. April 2016 zur Einleitung eines Auswahlverfahrens aufgrund von Prüfungen für die Besetzung von 500 Notarstellen vorgenommene Festlegung einer Altersgrenze von 50 Jahren für die Teilnahme an dem Auswahlverfahren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der sechste Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78 lautet:
„In der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer wird anerkannt, wie wichtig die Bekämpfung jeder Art von Diskriminierung und geeignete Maßnahmen zur sozialen und wirtschaftlichen Eingliederung älterer Menschen und von Menschen mit Behinderung sind.”
Rz. 4
Zweck dieser Richtlinie ist nach Art. 1 „die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten”.
Rz. 5
Art. 2 Abs. 1 und 2 der Richtlinie sieht vor:
„(1) Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz’, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.
(2) Im Sinne des Absatzes 1
a) liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;
…”
Rz. 6
In Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 heißt es:
„Im Rahmen der auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf
a) die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erw...