Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtigkeitsklage. Rechtsangleichung. Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen. Gültigkeit. Rechtsgrundlage. Änderung einer bestehenden Richtlinie. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Fehlen von Folgenabschätzungen. Eingriff in das Eigentumsrecht. Verhältnismäßigkeit der erlassenen Maßnahmen. Maßnahmen, durch die Hindernisse im Binnenmarkt entstehen. Grundsatz der Rechtssicherheit. Grundsatz des Vertrauensschutzes. Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten zum Erlass von Rechtsvorschriften mit Rückwirkung verpflichten. Diskriminierungsverbot. Ausnahme für die Schweizerische Eidgenossenschaft. Diskriminierung, die die Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder andere Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) als diesen Staat beeinträchtigt

 

Normenkette

Richtlinie (EU) 2017/853; AEUV Art. 114

 

Beteiligte

Tschechische Republik/ Parlament und Rat

Tschechische Republik

Europäisches Parlament

Rat der Europäischen Union

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Tschechische Republik trägt neben ihren eigenen Kosten die Kosten des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union.

3. Die Französische Republik, Ungarn, die Republik Polen und die Europäische Kommission tragen ihre eigenen Kosten.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV, eingereicht am 9. August 2017,

Tschechische Republik, vertreten durch M. Smolek, O. Serdula und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

Klägerin,

unterstützt durch

Ungarn, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Koós und G. Tornyai als Bevollmächtigte,

Republik Polen, vertreten durch B. Majczyna, M. Wiącek und D. Lutostańska als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

gegen

Europäisches Parlament, vertreten durch O. Hrstková Šolcová und R. van de Westelaken als Bevollmächtigte,

Rat der Europäischen Union, zunächst vertreten durch A. Westerhof Löfflerová, E. Moro und M. Chavrier, dann durch A. Westerhof Löfflerová und M. Chavrier als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Französische Republik, vertreten durch A. Daly, E. de Moustier, R. Coesme und D. Colas als Bevollmächtigte,

Europäische Kommission, vertreten durch M. Šimerdová, Y. G. Marinova und E. Kružíková als Bevollmächtigte,

Streithelferinnen,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter), der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten M. Vilaras, M. Safjan und I. Jarukaitis, des Richters T. von Danwitz, der Richterin C. Toader sowie der Richter D. Šváby und F. Biltgen,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. März 2019,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 11. April 2019

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Mit ihrer Klage beantragt die Tschechische Republik, die Richtlinie (EU) 2017/853 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie 91/477/EWG des Rates über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (ABl. 2017, L 137, S. 22, im Folgenden: angefochtene Richtlinie) für nichtig zu erklären, hilfsweise, Art. 1 Nrn. 6, 7 und 19 dieser Richtlinie teilweise für nichtig zu erklären.

Rechtlicher Rahmen

Richtlinie 91/477/EWG

Rz. 2

Die Erwägungsgründe 1 bis 5 der Richtlinie 91/477/EWG des Rates vom 18. Juni 1991 über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (ABl. 1991, L 256, S. 51) lauten:

„In Artikel 8a des Vertrages ist vorgesehen, dass der Binnenmarkt spätestens am 31. Dezember 1992 verwirklicht sein muss. Der Binnenmarkt umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen des Vertrages gewährleistet ist.

Der Europäische Rat hat sich auf seiner Tagung vom 25. und 26. Juni 1984 in Fontainebleau die Aufhebung aller Polizei- und Zollformalitäten an den innergemeinschaftlichen Grenzen ausdrücklich zum Ziel gesetzt.

Die vollständige Abschaffung der Kontrollen und Formalitäten an den innergemeinschaftlichen Grenzen setzt voraus, dass bestimmte grundsätzliche Bedingungen erfüllt sind. Die Kommission hat in ihrem Weißbuch ‚Die Vollendung des Binnenmarktes’ ausgeführt, dass die Abschaffung der Personenkontrollen und der Sicherheitskontrollen der beförderten Gegenstände unter anderem eine Angleichung des Waffenrechts voraussetzt.

Die Aufhebung der Kontrollen des Waffenbesitzes an den innergemeinschaftlichen Grenzen erfordert eine wirksame Regelung, die innerhalb der Mitgliedstaaten die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Feuerwaffen sowie ihres Verbringens in einen anderen Mitgliedstaat ermöglicht. Infolgedessen müssen die systematischen Kontrollen an den innergemeinschaftlichen Grenzen aufgehoben werden.

Diese Regelung wird unter den Mitgliedstaaten ein größeres gegenseitiges Vertrauen hinsichtlich der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit schaf...

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