Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsausgabenabzug, Abzug für Risikokapital, Abzug fiktiver Zinsen, DBA Belgien-Niederlande,
Leitsatz (amtlich)
Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach bei der Berechnung des Abzugs, der einer in einem Mitgliedstaat unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaft gewährt wird, der Nettowert der Aktiva einer in einem anderen Mitgliedstaat gelegenen Betriebsstätte nicht berücksichtigt wird, wenn die Gewinne dieser Betriebsstätte im ersten Mitgliedstaat gemäß einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht steuerpflichtig sind, wohingegen die Aktiva, die einer in diesem ersten Mitgliedstaat gelegenen Betriebsstätte zugeordnet sind, für diesen Abzug berücksichtigt werden.
Normenkette
AEUV Art. 49
Beteiligte
Verfahrensgang
Rechtbank van eerste aanleg te Antwerpen (Belgien) (Urteil vom 24.06.2011; ABl. EU 2011, Nr. C 282/6) |
Tatbestand
„Steuerrecht ‐ Körperschaftsteuer ‐ Abzug für Risikokapital ‐ Fiktive Zinsen ‐ Einschränkung der Abzugsmöglichkeit für Gesellschaften, die über Betriebsstätten im Ausland verfügen, die Einkünfte erzielen, die aufgrund eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Steuer befreit sind“
In der Rechtssache C-350/11
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Rechtbank van eerste aanleg te Antwerpen (Belgien) mit Entscheidung vom 24. Juni 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Juli 2011, in dem Verfahren
Argenta Spaarbank NV
gegen
Belgische Staat
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter M. Ilešič, E. Levits (Berichterstatter), J.-J. Kasel und M. Safjan,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzlerin: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juli 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Argenta Spaarbank NV, vertreten durch K. Morbée, K. Van Duyse und F. Smet, advocaten,
‐ der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und J.-C. Halleux als Bevollmächtigte,
‐ der Europäischen Kommission, vertreten durch W. Mölls und W. Roels als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. September 2012
folgendes
Urteil
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 49 AEUV.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Argenta Spaarbank NV (im Folgenden: Argenta) und dem Belgischen Staat wegen der Berechnung des Abzugs für Risikokapital im Rahmen der Besteuerung für das Jahr 2008.
Rechtlicher Rahmen
Belgisches Recht
Rz. 3
Der Abzug für Risikokapital wurde mit dem Gesetz vom 22. Juni 2005 zur Einführung eines Steuerabzugs für Risikokapital (Belgisch Staatsblad vom 30. Juni 2005, S. 30077) in das Einkommensteuersystem eingeführt. Dieser Abzug ist in den Art. 205bis bis 205nonies und 236 des Wetboek van de inkomstenbelastingen (Einkommensteuergesetzbuch) 1992 (im Folgenden: WIB 1992) geregelt.
Rz. 4
Der Begründung dieses Gesetzes ist zu entnehmen, dass es u. a. den Zweck verfolgt, die Unterschiede in der steuerlichen Behandlung zwischen der Finanzierung von Gesellschaften mittels Fremdkapital, dessen Vergütung steuerlich in vollem Umfang absetzbar ist, und der Finanzierung mittels Eigenkapital (Risikokapital), dessen Vergütung in vollem Umfang besteuert wird, abzuschwächen und die Liquiditätsquote der Gesellschaften zu erhöhen, wobei der Abzug für Risikokapital im Rahmen des allgemeinen Ziels eingeführt wurde, die Wettbewerbsfähigkeit der belgischen Wirtschaft zu verbessern.
Rz. 5
Der Abzug für Risikokapital, auch „Abzug fiktiver Zinsen“ genannt, besteht darin, dass von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer ein bestimmter Prozentsatz des Eigenkapitals der betreffenden Gesellschaft abgezogen wird.
Rz. 6
Nach Art 205quater Abs. 1 WIB 1992 entspricht dieser Abzug für Risikokapital dem gemäß Art. 205ter WIB 1992 bestimmten Risikokapital, multipliziert mit einem in den folgenden Absätzen des Art. 205quater bestimmten Satz.
Rz. 7
Nach Art. 205ter Abs. 1 Unterabs. 1 WIB 1992 entspricht das Risikokapital, das für die Ermittlung des Abzugs für Risikokapital für einen bestimmten Besteuerungszeitraum zu berücksichtigen ist, vorbehaltlich der Bestimmungen der Abs. 2 bis 7 dem Betrag des Eigenkapitals der Gesellschaft am Ende des vorhergehenden Besteuerungszeitraums, das gemäß den Rechtsvorschriften über die Buchhaltung und den Jahresabschluss bestimmt wird, so wie es in der Bilanz erscheint. In Art. 205ter Abs. 2 bis 7 sind die Fälle genannt, in denen Berichtigungen des Eigenkapitals vorgenommen werden müssen, damit dieses als Berechnungsgrundlage für die Höhe des Abzugs für Risikokapital dienen kann.
Rz. 8
Insbesondere wird nach Art. 205ter Abs. 2 WIB 1992 das Risikokapital, das nach Art. 205ter Abs. 1 WIB 1992 bestimmt wird, um den Nettowert der Aktiva der Betriebsstätten verringert, deren Einkünfte in Be...