Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Einheitliches Visum. Annullierung oder Aufhebung eines einheitlichen Visums. Gültigkeit eines einheitlichen Visums, das auf einem annullierten Reisedokument angebracht ist. Grenzübertrittskontrollen. Einreisevoraussetzungen. Nationale Regelung, die ein auf einem gültigen Reisedokument angebrachtes gültiges Visum verlangt
Normenkette
VO (EG) Nr. 810/2009 Art. 24 Abs. 1, Art. 34; VO (EG) Nr. 562/2006 Art. 5 Abs. 1; VO (EG) Nr. 562/2006 Art. 13 Abs. 1
Beteiligte
Air Baltic Corporation AS |
Tenor
1. Art. 24 Abs. 1 und Art. 34 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex) sind dahin auszulegen, dass die Annullierung eines Reisedokuments durch eine Behörde eines Drittlands nicht automatisch zur Ungültigkeit eines auf diesem Dokument angebrachten einheitlichen Visums führt.
2. Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 265/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. März 2010 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass die Einreise von Drittstaatsangehörigen in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht voraussetzt, dass bei der Grenzübertrittskontrolle das vorgelegte gültige Visum notwendigerweise auf einem gültigen Reisedokument angebracht ist.
3. Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 562/2006 in der durch die Verordnung Nr. 265/2010 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 dieser Verordnung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der des Ausgangsverfahrens entgegensteht, nach der die Einreise von Drittstaatsangehörigen in das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats voraussetzt, dass bei der Grenzübertrittskontrolle das vorgelegte gültige Visum notwendigerweise auf einem gültigen Reisedokument angebracht ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Administrativa apgabaltiesa (Lettland) mit Entscheidung vom 4. Dezember 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Dezember 2012, in dem Verfahren
Air Baltic Corporation AS
gegen
Valsts robežsardze
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen (Berichterstatter), der Richter M. Safjan und J. Malenovský sowie der Richterinnen A. Prechal und K. Jürimäe,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. März 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Air Baltic Corporation AS, vertreten durch I. Jansons und M. Freimane, Rechtsbeistände,
- der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kalniņš und D. Pelše als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Palatiello, avvocato dello Stato,
- der finnischen Regierung, vertreten durch J. Heliskoski und J. Leppo als Bevollmächtigte,
- der schweizerischen Regierung, vertreten durch D. Klingele als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Wils und A. Sauka als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. Mai 2014
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. L 105, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 265/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. März 2010 (ABl. L 85, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Schengener Grenzkodex) und der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex) (ABl. L 243, S. 1).
Rz. 2
Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Luftfahrtgesellschaft Air Baltic Corporation AS (im Folgenden: Air Baltic) und der Valsts robežsardze (Grenzpolizei) über deren Entscheidung, gegen Air Baltic eine Verwaltungsgeldbuße zu verhängen, weil sie eine Person nach Lettland befördert hatte, die bei Grenzübertritt nicht über die notwendigen Reisedokumente verfügte.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Schengener Grenzkodex
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 4, 6, 7, 8 und 19 des Schengener Grenzkodex lauten:
„(4) Im Hinblick auf die Grenzkontrollen an den Außengrenzen ist die Aufstellung eines ‚gemeinsamen Bestands’ an Rechtsvorschriften, insbesondere durch Konsolidierung und Weiterentwicklung des Besitzstands, eine wesentliche Komponente der gemeinsamen Politik für den Grenzschutz an den Außengrenzen …
…
(6)...