Entscheidungsstichwort (Thema)
Freier Dienstleistungsverkehr. Richtlinie 2006/123/EG. Art. 24. Untersagung sämtlicher absoluten Verbote kommerzieller Kommunikation für reglementierte Berufe. Beruf des Wirtschaftsprüfers. Verbot der Kundenakquise
Beteiligte
Société fiduciaire nationale d'expertise comptable |
Société fiduciaire nationale d'expertise comptable |
Ministre du budget, des comptes publics et de la fonction publique |
Tenor
Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt ist dahin gehend auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die es den Angehörigen eines reglementierten Berufs, wie des Berufs des Wirtschaftsprüfers, vollständig verbietet, Kundenakquisehandlungen vorzunehmen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Conseil d'État (Frankreich) mit Entscheidung vom 4. März 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 1. April 2009, in dem Verfahren
Société fiduciaire nationale d'expertise comptable
gegen
Ministre du Budget, des Comptes publics et de la Fonction publique
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts, J.-C. Bonichot, K. Schiemann, J.-J. Kasel und D. Šváby, des Richters A. Rosas, der Richterin R. Silva de Lapuerta, der Richter U. Lõhmus (Berichterstatter) und M. Safjan sowie der Richterin M. Berger,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23. März 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Société fiduciaire nationale d'expertise comptable, vertreten durch F. Molinié, avocat,
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und B. Messmer als Bevollmächtigte,
- der zyprischen Regierung, vertreten durch D. Kallí als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels, M. de Grave und J. Langer als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch I. Rogalski und C. Vrignon als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Mai 2010
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 24 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. L 376, S. 36).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Société fiduciaire nationale d'expertise comptable (im Folgenden: Société fiduciaire) und dem Ministre du Budget, des Comptes publics et de la Fonction publique wegen Nichtigerklärung des Dekrets Nr. 2007-1387 vom 27. September 2007 zur Schaffung eines Kodex der Standespflichten der Wirtschaftsprüfer (JORF vom 28. September 2007, S. 15847), soweit es Kundenakquise verbietet.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 2, 5 und 100 der Richtlinie 2006/123 lauten:
„(2) Ein wettbewerbsfähiger Dienstleistungsmarkt ist für die Förderung des Wirtschaftswachstums und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Europäischen Union wesentlich. Gegenwärtig hindert eine große Anzahl von Beschränkungen im Binnenmarkt Dienstleistungserbringer, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU), daran, über ihre nationalen Grenzen hinauszuwachsen und uneingeschränkt Nutzen aus dem Binnenmarkt zu ziehen. Dies schwächt die globale Wettbewerbsfähigkeit der Dienstleistungserbringer aus der Europäischen Union. Ein freier Markt, der die Mitgliedstaaten zwingt, Beschränkungen im grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr abzubauen, bei gleichzeitiger größerer Transparenz und besserer Information der Verbraucher, würde für die Verbraucher größere Auswahl und bessere Dienstleistungen zu niedrigeren Preisen bedeuten.
…
(5) Es ist deshalb erforderlich, die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern in den Mitgliedstaaten und des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen Mitgliedstaaten zu beseitigen und den Dienstleistungsempfängern und -erbringern die Rechtssicherheit zu garantieren, die sie für die wirksame Wahrnehmung dieser beiden Grundfreiheiten des Vertrags benötigen. …
…
(100) Es ist erforderlich, absolute Verbote kommerzieller Kommunikation für reglementierte Berufe zu beseitigen, wobei nicht Verbote gemeint sind, die sich auf den Inhalt der kommerziellen Kommunikation beziehen, sondern solche, die diese allgemein und für ganze Berufsgruppen in einer oder mehreren Formen untersagen, beispielsweise ein Verbot von Werbung in einem bestimmten Medium oder in einer Reihe von Medien. Hinsichtlich des Inhalts und der Art und Weise der kommerziellen Kommunikation ist es erforderlich, die Angehörigen der reglementierten Berufe aufzufordern, im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht gemeinschaftsweite Verhaltenskodizes zu erarbeiten.”
Rz. 4
Gemäß Art. 4 Nr. 12 der Richtlinie 2006/123 bezeichnet für die Zwe...