Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen. Verbot mittelbarer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Nach dem im Protokoll und in Art. 12 genannten Zeitpunkt anwendbares betriebliches System der sozialen Sicherheit. Beamtenpensionen. Nationale Regelung, die eine jährliche Anpassung der Pensionen vorsieht. Degressive Anpassung nach Maßgabe der Höhe der Pensionen, die ab einem bestimmten Betrag ganz entfällt. Rechtfertigungsgründe
Normenkette
AEUV Art. 157 Protokoll (Nr. 33); Richtlinie 2006/54/EG Art. 5 Buchst. c, Art. 12
Beteiligte
Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau (BVAEB) |
Tenor
1. Das dem AEU-Vertrag beigefügte Protokoll (Nr. 33) zu Art. 157 AEUV und Art. 12 der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sind dahin auszulegen, dass die darin vorgesehene zeitliche Beschränkung der Wirkungen des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen nicht für eine nationale Regelung gilt, die eine jährliche Anpassung der aufgrund eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit, das nach dem in diesen Bestimmungen genannten Zeitpunkt anwendbar ist, gewährten Pensionen vorsieht.
2. Art. 157 AEUV und Art. 5 Buchst. c der Richtlinie 2006/54 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, die eine degressive jährliche Anpassung des Betrags der Pensionen der nationalen Beamten nach Maßgabe seiner Höhe vorsieht, wobei die Anpassung ab einem bestimmten Pensionsbetrag ganz entfällt, in dem Fall, dass sich diese Regelung auf einen signifikant höheren Anteil männlicher als weiblicher Pensionsbezieher ungünstig auswirkt, nicht entgegenstehen, sofern mit ihr in kohärenter und systematischer Weise die Ziele der Gewährleistung einer nachhaltigen Finanzierung der Pensionen und einer Verringerung des Niveauunterschieds zwischen den staatlich finanzierten Pensionen verfolgt werden, ohne dass sie über das hinausgeht, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 31. Juli 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 28. August 2020, in dem Verfahren
EB,
JS,
DP
gegen
Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau (BVAEB)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Ersten Kammer, der Richterin I. Ziemele sowie der Richter T. von Danwitz (Berichterstatter) und P. G. Xuereb,
Generalanwalt: A. Rantos,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von JS und EB, vertreten durch Rechtsanwalt M. Riedl,
- von DP, vertreten durch Rechtsanwalt M. Riedl und durch sich selbst,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch J. Schmoll und C. Leeb als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und A. Szmytkowska als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Januar 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 157 AEUV, des dem AEU-Vertrag beigefügten Protokolls (Nr. 33) zu Art. 157 AEUV (im Folgenden: Protokoll Nr. 33) sowie der Art. 5 und 12 der Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (ABl. 2006, L 204, S. 23).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen von drei Rechtsstreitigkeiten zwischen EB, JS und DP einerseits und der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau (BVAEB) (Österreich) andererseits über die jährliche Anpassung ihrer Pensionen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Das Protokoll Nr. 33 bestimmt:
„Im Sinne des Artikels 157 [AEUV] gelten Leistungen aufgrund eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit nicht als Entgelt, sofern und soweit sie auf Beschäftigungszeiten vor dem 17. Mai 1990 zurückgeführt werden können, außer im Fall von Arbeitnehmern oder deren anspruchsberechtigten Angehörigen, die vor diesem Zeitpunkt eine Klage bei Gericht oder ein gleichwertiges Verfahren nach geltendem einzelstaatlichen Recht anhängig gemacht haben.”
Rz. 4
In Art. 1 der Richtlinie 2006/54 heißt es:
„Ziel der vorliegenden Richtlinie ist es, die Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen sicherzustellen.
Zu diesem Zweck enthält sie Bestimmungen zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in Bezug auf
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