Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Umwelt. Ordnungsrahmen für Maßnahmen der Europäischen Union im Bereich der Wasserpolitik. Umweltziele bei Oberflächengewässern. Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Genehmigung eines Projekts oder Vorhabens zu versagen, das eine Verschlechterung des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers verursachen kann. Begriff ‚Verschlechterung’ des Zustands eines Oberflächenwasserkörpers. Ausnahmen vom Verschlechterungsverbot. Bedingungen- Programme oder Vorhaben mit vorübergehenden Auswirkungen von kurzer Dauer und ohne langfristige Folgen für den Zustand eines Oberflächenwasserkörpers
Normenkette
Richtlinie 2000/60/EG Art. 4 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 6-7
Beteiligte
Association France Nature Environnement |
Association France Nature Environnement |
Ministre de la Transition écologique et solidaire |
Tenor
Art. 4 der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik ist dahin auszulegen, dass er es den Mitgliedstaaten nicht erlaubt, bei der Beurteilung, ob ein konkretes Programm oder Vorhaben mit dem Ziel der Verhinderung einer Verschlechterung der Wasserqualität vereinbar ist, vorübergehende Auswirkungen von kurzer Dauer und ohne langfristige Folgen für die Gewässer nicht zu berücksichtigen, es sei denn, dass sich diese Auswirkungen ihrem Wesen nach offensichtlich nur geringfügig auf den Zustand der betroffenen Wasserkörper auswirken und im Sinne dieser Bestimmung nicht zu einer „Verschlechterung” ihres Zustands führen können. Stellen die zuständigen nationalen Behörden im Rahmen des Genehmigungsverfahrens eines Programms oder eines Vorhabens fest, dass es zu einer solchen Verschlechterung führen kann, kann dieses Programm oder Vorhaben auch im Fall einer bloß vorübergehenden Verschlechterung nur dann genehmigt werden, wenn die Bedingungen von Art. 4 Abs. 7 der Richtlinie erfüllt sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d'État (Staatsrat, Frankreich) mit Entscheidung vom 14. Oktober 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Oktober 2020, in dem Verfahren
Association France Nature Environnement
gegen
Premier ministre,
Ministre de la Transition écologique et solidaire
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter J. Passer (Berichterstatter), F. Biltgen und N. Wahl sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,
Generalanwalt: A. Rantos,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. Oktober 2021,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Association France Nature Environnement, vertreten durch B. Hogommat,
- der französischen Regierung, vertreten durch T. Stéhelin, W. Zemamta und E. Toutain als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und L. Dvořáková als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und M. A. M. de Ree als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Valero und O. Beynet als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Januar 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 der Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (ABl. 2000, L 327, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Association France Nature Environnement auf der einen und dem Premier ministre (Premierminister, Frankreich) und der Ministre de la Transition écologique et solidaire (Ministerin für den ökologischen und solidarischen Wandel, Frankreich) auf der anderen Seite über die Rechtmäßigkeit eines Dekrets über die Leitpläne für den Wasserbau und die Wasserbewirtschaftung und die Pläne für den Wasserbau und die Wasserbewirtschaftung.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 11, 25, 26 und 32 der Richtlinie 2000/60 sehen vor:
„(11) Gemäß Artikel 174 des Vertrags soll die gemeinschaftliche Umweltpolitik zur Verfolgung der Ziele der Erhaltung und des Schutzes der Umwelt sowie der Verbesserung ihrer Qualität und der umsichtigen und rationellen Verwendung der natürlichen Ressourcen beitragen; diese Politik hat auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung, auf dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen, sowie auf dem Verursacherprinzip zu beruhen.
…
(25) Es sollten gemeinsame Begriffsbestimmungen zur Beschreibung des Zustandes von Gewässern sowohl im Hinblick auf die Güte als auch – soweit für den Umweltschutz von Belang – auf die Menge festgelegt werden. Umweltziele sollen sicherstellen, dass sich die Oberflächengewässer und das Grundwasser in...