Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Rechtsstaatlichkeit. Wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen. Unabhängigkeit von Richtern. Berechtigung, den Gerichtshof um eine Vorabentscheidung zu ersuchen. Vorrang des Unionsrechts. Der Disziplinarkammer des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) übertragene Zuständigkeiten betreffend die Aufhebung der strafrechtlichen Immunität von Richtern sowie arbeitsrechtliche, sozialversicherungsrechtliche und ruhestandsrechtliche Angelegenheiten von Richtern dieses Gerichts. Verbot für die nationalen Gerichte, die Legitimität der Gerichte und der Verfassungsorgane in Frage zu stellen oder die Rechtmäßigkeit der Ernennung von Richtern oder ihrer richterlichen Befugnisse festzustellen oder zu beurteilen. Einstufung der von einem Richter vorgenommenen Prüfung, ob bestimmte Anforderungen in Bezug auf das Vorliegen eines unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gerichts erfüllt sind, als ,Disziplinarvergehen‘. Ausschließliche Zuständigkeit der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) für die Prüfung von Fragen betreffend die fehlende Unabhängigkeit eines Gerichts oder eines Richters. Recht auf Achtung des Privatlebens und Recht auf Schutz personenbezogener Daten. Sensible Daten. Nationale Regelung, die Richter verpflichtet, eine Erklärung zu ihrer etwaigen Mitgliedschaft in einem Verein, einer Stiftung oder einer politischen Partei sowie zu den dort ausgeübten Funktionen abzugeben, und die Veröffentlichung der in diesen Erklärungen enthaltenen Angaben im Internet vorsieht

 

Normenkette

EUV Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 47; AEUV Art. 267; Grundrechtecharta Art. 7-8; EUVO 679/2016 Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1, Abs. 3 Unterabs. 2, Art. 9 Abs. 1

 

Beteiligte

Kommission/ Polen (Indépendance et vie privée des juges)

Europäische Kommission

Republik Polen

 

Tenor

1.Die Republik Polen hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verstoßen, dass sie die Disziplinarkammer des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen), deren Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet sind, ermächtigt hat, in Sachen zu entscheiden, die sich unmittelbar auf den Status und die Amtsausübung von Richtern und Assessoren auswirken, etwa zum einen in Sachen betreffend die Zustimmung dazu, dass Richter und Assessoren strafrechtlich zur Verantwortung gezogen oder festgenommen werden, und zum anderen in arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Sachen betreffend die Richter des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) sowie Sachen betreffend die Versetzung eines solchen Richters in den Ruhestand.

2.Die Republik Polen hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und aus Art. 267 AEUV verstoßen, dass sie Art. 107 § 1 Nrn. 2 und 3 der Ustawa – Prawo o ustroju sądów powszechnych (Gesetz über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit) vom 27. Juli 2001 in der durch die Ustawa o zmianie ustawy – Prawo o ustroju sądów powszechnych, ustawy o Sądzie Najwyższym oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit, des Gesetzes über das Oberste Gericht und einiger anderer Gesetze) vom 20. Dezember 2019 geänderten Fassung und Art. 72 § 1 Nrn. 1 bis 3 der Ustawa o Sądzie Najwyższym (Gesetz über das Oberste Gericht) vom 8. Dezember 2017 in der durch das Gesetz vom 20. Dezember 2019 geänderten Fassung erlassen und beibehalten hat, wonach die Prüfung, ob die Anforderungen der Europäischen Union in Bezug auf ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht erfüllt sind, als Disziplinarvergehen gewertet werden kann.

3.Die Republik Polen hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und aus dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts verstoßen, dass sie Art. 42a §§ 1 und 2 sowie Art. 55 § 4 des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit in der durch das vorgenannte Gesetz vom 20. Dezember 2019 geänderten Fassung, Art. 26 § 3 und Art. 29 §§ 2 und 3 des Gesetzes über das Oberste Gericht in der durch das Gesetz vom 20. Dezember 2019 geänderten Fassung, Art. 5 §§ 1a und 1b der Ustawa – Prawo o ustroju sądów administracyjnych (Gesetz über den Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit) vom 25. Juli 2002 in der durch das Gesetz vom 20. Dezember 2019 geänderten Fassung sowie Art. 8 des zuletzt genannten Gesetzes erlassen und beibehalten hat, wonach allen nationalen Gerichten die Prüfung, ob die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Anforderungen in Bezug auf die Gewährleistung eines unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gerichts erfüllt sind, untersagt ist.

4.Die Republik Polen hat dadurch gegen ihre Ve...

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