Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Verbraucherschutz. Richtlinie 2011/83/EU. Verbraucherrechte. Abonnement eines Verbrauchers auf einer Lernplattform. Automatische Verlängerung des Vertrags. Widerrufsrecht
Normenkette
Richtlinie 2011/83/EU
Beteiligte
Verein für Konsumenteninformation |
Tenor
Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
ist dahin auszulegen, dass
dem Verbraucher das Recht, einen Fernabsatzvertrag zu widerrufen, bei einem Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen, der für den Verbraucher anfangs einen kostenlosen Zeitraum vorsieht, dem sich – falls der Verbraucher den Vertrag in diesem Zeitraum nicht kündigt oder widerruft – ein kostenpflichtiger Zeitraum anschließt, der sich, wenn dieser Vertrag nicht gekündigt wird, automatisch um einen bestimmten Zeitraum verlängert, nur ein einziges Mal zukommt, sofern er beim Abschluss dieses Vertrags vom Unternehmer in klarer, verständlicher und ausdrücklicher Weise darüber informiert wird, dass die Erbringung dieser Dienstleistung nach dem anfänglich kostenlosen Zeitraum kostenpflichtig wird.
Tatbestand
In der Rechtssache C-565/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 20. Juli 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 26. August 2022, in dem Verfahren
Verein für Konsumenteninformation
gegen
Sofatutor GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin) sowie der Richter F. Biltgen und J. Passer,
Generalanwalt: A. M. Collins,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – des Vereins für Konsumenteninformation, vertreten durch Rechtsanwalt S. Langer,
- – der Sofatutor GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt M. Görg,
- – der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und A. Hanje als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch I. Rubene und E. Schmidt als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2011, L 304, S. 64).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Verein für Konsumenteninformation (Österreich) (im Folgenden: VKI) und der Sofatutor GmbH, einer Gesellschaft deutschen Rechts, wegen des Antrags des VKI, dieser Gesellschaft aufzugeben, die Verbraucher über die Bedingungen, die Fristen und die Vorgangsweise für die Ausübung ihres Rechts auf Widerruf eines im Fernabsatz geschlossenen Vertrags zu informieren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/83 lautet:
„Da der Verbraucher im Versandhandel die Waren nicht sehen kann, bevor er den Vertrag abschließt, sollte ihm ein Widerrufsrecht zustehen. Aus demselben Grunde sollte dem Verbraucher gestattet werden, die Waren, die er gekauft hat, zu prüfen und zu untersuchen, um die Beschaffenheit, die Eigenschaften und die Funktionsweise der Waren festzustellen. Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen sollte dem Verbraucher aufgrund des möglichen Überraschungsmoments und/oder psychologischen Drucks das Recht auf Widerruf zustehen. Der Widerruf des Vertrags sollte die Verpflichtung der Parteien beenden, den Vertrag zu erfüllen.“
Rz. 4
Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) Nr. 7 dieser Richtlinie definiert den „Fernabsatzvertrag“ wie folgt:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke
…
7. ,Fernabsatzvertrag‘ jeden Vertrag, der zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- bzw. Dienstleistungssystems geschlossen wird, wobei bis einschließlich zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ausschließlich ein oder mehrere Fernkommunikationsmittel verwendet wird/werden“.
Rz. 5
Art. 4 („Grad der Harmonisierung“) der Richtlinie lautet:
„Sofern diese Richtlinie nichts anderes bestimmt, erhalten die Mitgliedstaaten weder von den Bestimmungen dieser Richtlinie abweichende innerstaatliche Rechtsvorschrift...