Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Visa, Asyl, Einwanderung und andere Politiken betreffend den freien Personenverkehr. Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger. Verfahren zum Erlass einer Rückkehrentscheidung. Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte. Recht eines illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen, vor Erlass einer Entscheidung, die seine Interessen beeinträchtigen kann, angehört zu werden. Mit einer Verpflichtung zum Verlassen des Hoheitsgebiets versehene Weigerung der Verwaltung, einem solchen Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel wegen Asyls zu erteilen. Recht auf Anhörung vor Erlass der Rückkehrentscheidung

 

Normenkette

Richtlinie 2008/115/EG

 

Beteiligte

Mukarubega

Sophie Mukarubega

Préfet de police

Préfet de la Seine-Saint-Denis

 

Tenor

Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ist das Recht auf Anhörung in jedem Verfahren, wie es im Rahmen der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger – insbesondere deren Art. 6 – Anwendung findet, dahin auszulegen, dass es einer nationalen Behörde nicht untersagt ist, einen Drittstaatsangehörigen speziell bezüglich einer Rückkehrentscheidung nicht anzuhören, wenn sie, nachdem sie am Schluss eines Verfahrens, in dem sein Recht auf Anhörung in vollem Umfang gewahrt wurde, die Rechtswidrigkeit seines Aufenthalts im Hoheitsgebiet festgestellt hat, beabsichtigt, ihm gegenüber eine solche Entscheidung zu erlassen; dies gilt unabhängig davon, ob die Rückkehrentscheidung erst nach der Versagung eines Aufenthaltstitels ergeht.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal administratif de Melun (Frankreich) mit Entscheidung vom 8. März 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 3. April 2013, in dem Verfahren

Sophie Mukarubega

gegen

Préfet de police,

Préfet de la Seine-Saint-Denis

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter A. Rosas (Berichterstatter), E. Juhász, D. Šváby und C. Vajda,

Generalanwalt: M. Wathelet,

Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. Mai 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Frau Mukarubega, vertreten durch B. Vinay, Avocat,
  • der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, D. Colas, F.-X. Bréchot und B. Beaupère-Manokha als Bevollmächtigte,
  • der griechischen Regierung, vertreten durch M. Michelogiannaki und L. Kotroni als Bevollmächtigte,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch J. Langer und M. Bulterman als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und D. Maidani als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Juni 2014

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348, S. 98) und des Rechts auf Anhörung in jedem Verfahren.

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Mukarubega, die die ruandische Staatsangehörigkeit besitzt, auf der einen Seite und dem Polizeipräfekten sowie dem Präfekten des Departements Seine-Saint-Denis auf der anderen Seite über Entscheidungen, mit denen der Antrag von Frau Mukarubega auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als Flüchtling abgelehnt und sie zum Verlassen des französischen Hoheitsgebiets verpflichtet wurde.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 4, 6 und 24 der Richtlinie 2008/115 heißt es:

„(4) Eine wirksame Rückkehrpolitik als notwendiger Bestandteil einer gut geregelten Migrationspolitik muss mit klaren, transparenten und fairen Vorschriften unterlegt werden.

(6) Die Mitgliedstaaten sollten gewährleisten, dass der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen im Wege eines fairen und transparenten Verfahrens beendet wird. Im Einklang mit allgemeinen Grundsätzen des EU-Rechts sollten Entscheidungen gemäß dieser Richtlinie auf Grundlage des Einzelfalls und anhand objektiver Kriterien getroffen werden, was bedeutet, dass die Erwägungen über den bloßen Tatbestand des illegalen Aufenthalts hinausreichen sollten …

(24) Die Richtlinie wahrt die Grundrechte und Grundsätze, die vor allem in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union [im Folgenden: Charta] verankert sind.”

Rz. 4

Art. 1 („Gegenstand”) der Richtlinie 2008/115 lautet:

„Diese Richtlinie enthält gemeinsame Normen und Verfahren, die in den Mitgliedstaaten bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Einklang mit den Grundrechten als allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschafts- und des Völkerrechts, e...

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