Entscheidungsstichwort (Thema)
Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers. Drittstaatsangehöriger Arbeitnehmer ohne gültige Aufenthaltserlaubnis. Versagung des Anspruchs auf Leistungen bei Insolvenz
Normenkette
Richtlinie 80/987/EWG
Beteiligte
Raad van Bestuur van het Uitvoeringsinstituut Werknemersverzekeringen |
Tenor
Die Bestimmungen der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers in der durch die Richtlinie 2002/74/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, wonach ein Drittstaatsangehöriger, der sich in dem betreffenden Mitgliedstaat nicht rechtmäßig aufhält, nicht als Arbeitnehmer anzusehen ist, der Leistungen bei Insolvenz aufgrund u. a. der im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht erfüllten Ansprüche auf Arbeitsentgelt verlangen kann, obwohl dieser Drittstaatsangehörige nach dem Zivilrecht dieses Mitgliedstaats als „Arbeitnehmer” einzustufen ist, der Anspruch auf eine Vergütung hat, die bei den nationalen Gerichten gegen seinen Arbeitgeber eingeklagt werden kann.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Centrale Raad van Beroep (Niederlande) mit Entscheidung vom 4. Juni 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Juni 2013, in dem Verfahren
O. Tümer
gegen
Raad van bestuur van het Uitvoeringsinstituut werknemersverzekeringen
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz (Berichterstatter) sowie der Richter A. Rosas, E. Juhász, D. Šváby und C. Vajda,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. Mai 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von O. Tümer, vertreten durch G. T. M. Evers, advocaat,
- des Raad van bestuur van het Uitvoeringsinstituut werknemersverzekeringen, vertreten durch I. Eijkhout als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch B. Koopman, K. Bulterman, H. Stergiou und M. de Ree als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. van Beek und J. Enegren als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Juni 2014
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20. Oktober 1980 über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (ABl. L 283, S. 23) in der durch die Richtlinie 2002/74/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 (ABl. L 270, S. 10) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 80/987).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Tümer und dem Raad van bestuur van het Uitvoeringsinstituut werknemersverzekeringen (Verwaltungsrat der Durchführungseinrichtung für Arbeitnehmerversicherungen, im Folgenden: Uwv) wegen dessen Weigerung, Herrn Tümer Leistungen bei Insolvenz zu zahlen, da er ein Drittstaatsangehöriger sei, der sich nicht rechtmäßig in den Niederlanden aufhalte.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 80/987
Rz. 3
Im ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 2002/74 heißt es:
„Unter Nummer 7 der am 9. Dezember 1989 angenommenen Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer heißt es, dass die Verwirklichung des Binnenmarkts zu einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft führen muss und dass diese Verbesserung, soweit nötig, dazu führen muss, dass bestimmte Bereiche des Arbeitsrechts wie die Verfahren bei Massenentlassungen oder bei Konkursen ausgestaltet werden.”
Rz. 4
Art. 1 der Richtlinie 80/987 bestimmt:
„(1) Diese Richtlinie gilt für Ansprüche von Arbeitnehmern aus Arbeitsverträgen oder Arbeitsverhältnissen gegen Arbeitgeber, die zahlungsunfähig im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 sind.
(2) Die Mitgliedstaaten können die Ansprüche bestimmter Gruppen von Arbeitnehmern wegen des Bestehens anderer Garantieformen ausnahmsweise vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausschließen, wenn diese den Betroffenen nachweislich einen Schutz gewährleisten, der dem sich aus dieser Richtlinie ergebenden Schutz gleichwertig ist.
(3) Die Mitgliedstaaten können auch weiterhin vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausschließen:
- Hausangestellte, die von einer natürlichen Person beschäftigt werden;
- Fischer, die in Form eines Erlösanteils entlohnt werden,
sofern eine solche Vorschrift in ihrem innerstaatlichen Recht bereits angewandt wird.”
Rz. 5
In Art. 2 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 80/987 heißt es:
„(2) Diese Richtlinie lässt das einzelstaatliche Recht bezüglich der Begriffsbestimmung der Worte ‚Arbeitnehmer’, ‚Arbeitgeber’, ‚Arbeitsentgelt’, ‚...