Entscheidungsstichwort (Thema)
Verordnung (EWG) Nr. 1612/68. Richtlinie 2004/38/EG. Recht auf Daueraufenthalt. Leistung der Sozialhilfe. Elterliche Sorge. Aufenthaltszeit, die vor dem Beitritt des Herkunftsmitgliedstaats zur Union zurückgelegt worden ist
Beteiligte
Secretary of State for Work and Pensions |
Tenor
Art. 12 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft ist dahin auszulegen, dass er einer Person, die tatsächlich die elterliche Sorge für ein Kind eines Wanderarbeitnehmers oder eines ehemaligen Wanderarbeitnehmers ausübt, das seine Ausbildung im Aufnahmemitgliedstaat fortsetzt, ein Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet dieses Staates verleiht, während er nicht dahin ausgelegt werden kann, dass er ein solches Recht einer Person verleiht, die tatsächlich die elterliche Sorge für ein Kind eines Selbständigen ausübt.
Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG ist dahin auszulegen, dass sich ein Unionsbürger, der Angehöriger eines der Europäischen Union neu beigetretenen Mitgliedstaats ist, nach dieser Bestimmung auf ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht berufen kann, wenn er sich mehr als fünf Jahre lang, von denen ein Teil vor dem Beitritt des erstgenannten Mitgliedstaats zur Europäischen Union zurückgelegt wurde, ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, soweit der Aufenthalt im Einklang mit den Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 stand.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Upper Tribunal (Administrative Appeals Chamber) (Vereinigtes Königreich) mit Entscheidungen vom 14. März 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 25. März 2011, in den Verfahren
Secretary of State for Work and Pensions
gegen
Lucja Czop (C-147/11),
Margita Punakova (C-148/11)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters J. Malenovský, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter T. von Danwitz (Berichterstatter) und D. Šváby,
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Mai 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Frau Czop, vertreten durch G. King, Solicitor-advocate,
- von Frau Punakova, vertreten durch H. Mountfield, Barrister,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch H. Walker als Bevollmächtigte im Beistand von C. Lewis, Barrister,
- der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar, D. Lutostańska und A. Siwek als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch C. Tufvesson und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 12 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) und von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, und Berichtigungen ABl. 2004, L 229, S. 35, und ABl. 2007, L 204, S. 28).
Rz. 2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen Frau Czop bzw. Frau Punakova auf der einen Seite und dem Secretary of State for Work and Pensions auf der anderen Seite wegen dessen Weigerung, den Betroffenen Einkommensbeihilfe („income support”) zu gewähren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 lautete:
„Die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, können, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen.
Die Mitgliedstaaten fördern die Bemühungen, durch die diesen Kindern ermöglicht werden soll, unter den besten Voraussetzungen am Unterricht teilzunehmen.”
Rz. 4
Die Verordnung Nr. 1612/68 wurde im Jahr 2...