Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen. Rechtsangleichung. Öffentliche Gesundheit. Information und Schutz der Verbraucher. Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln. Begriffe ‚nährwertbezogene Angaben’ und ‚gesundheitsbezogene Angaben’. Verordnung (EG) Nr. 1924/2006. Bezeichnung eines Weins als ‚bekömmlich’. Hinweis auf einen reduzierten Säuregehalt. Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent. Verbot gesundheitsbezogener Angaben. Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Art. 15 Abs. 1. Berufsfreiheit. Art. 16. Unternehmerische Freiheit. Vereinbarkeit
Beteiligte
Tenor
1. Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel in der zuletzt durch die Verordnung (EU) Nr. 116/2010 der Kommission vom 9. Februar 2010 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass der Begriff „gesundheitsbezogene Angabe” eine Bezeichnung wie „bekömmlich”, verbunden mit dem Hinweis auf einen reduzierten Gehalt an Stoffen, die von einer Vielzahl von Verbrauchern als nachteilig angesehen werden, umfasst.
2. Der Umstand, dass es einem Erzeuger oder Vermarkter von Wein nach der Verordnung Nr. 1924/2006 in der durch die Verordnung Nr. 116/2010 geänderten Fassung auch dann ausnahmslos verboten ist, eine Angabe der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art zu verwenden, wenn diese Angabe für sich genommen zutrifft, ist mit Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 EUV vereinbar.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 23. September 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 23. November 2010, in dem Verfahren
Deutsches Weintor eG
gegen
Land Rheinland-Pfalz
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters J. Malenovský (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász und D. Šváby,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. Januar 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Deutsches Weintor eG, vertreten durch die Rechtsanwälte H. Eichele und B. Goebel,
- des Landes Rheinland-Pfalz, vertreten durch C. Grewing als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und D. Hadroušek als Bevollmächtigte,
- der estnischen Regierung, vertreten durch M. Linntam als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, B. Cabouat und R. Loosli-Surrans als Bevollmächtigte,
- der ungarischen Regierung, vertreten durch Z. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,
- der finnischen Regierung, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte,
- des Europäischen Parlaments, vertreten durch I. Anagnostopoulou und E. Waldherr als Bevollmächtigte,
- des Rates der Europäischen Union, vertreten durch M. Simm als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Pignataro-Nolin und S. Grünheid als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. März 2012
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 und Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (ABl. L 404, S. 9) in der zuletzt durch die Verordnung (EU) Nr. 116/2010 der Kommission vom 9. Februar 2010 (ABl. L 37, S. 16) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1924/2006). Das Ersuchen betrifft außerdem die Gültigkeit dieser Vorschriften im Hinblick auf Art. 15 Abs. 1 und Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Deutsches Weintor eG (im Folgenden: Deutsches Weintor), einer deutschen Winzergenossenschaft, und den mit der Überwachung des Vertriebs alkoholischer Getränke betrauten Dienststellen des Bundeslandes Rheinland-Pfalz über die Bezeichnung eines Weins als „bekömmlich”, mit der auf einen reduzierten Säuregehalt hingewiesen wird.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 1 bis 3, 5, 10, 14 bis 16 und 18 der Verordnung Nr. 1924/2006 heißt es:
„(1) Zunehmend werden Lebensmittel in der Gemeinschaft mit nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben gekennzeichnet, und es wird mit diesen Angaben für sie Werbung gemacht. Um dem Verbraucher ein hohes Schutzniveau zu gewährleisten und ihm die Wahl zu erleichtern, sollten die im Handel befindlichen Produkte, einschließlich der eingeführten Produkte, sicher sein und eine angemessene Kennzeichnung aufweisen. Eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung ist eine Grundvoraussetzung für eine gute Gesundheit, und einzeln...