Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung. Sachlicher Anwendungsbereich. Vereinbarung zur Erbauseinandersetzung zwischen dem überlebenden Ehegatten und den von einem Verfahrenspfleger vertretenen minderjährigen Kindern. Qualifizierung. Richterlicher Genehmigungsvorbehalt. Die elterliche Verantwortung betreffende Maßnahme oder Erbschaften betreffende Maßnahme
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 Art. 1 Abs. 1 Buchst. b
Beteiligte
Tenor
Die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 ist dahin auszulegen, dass die Genehmigung einer Vereinbarung zur Erbauseinandersetzung, die ein für minderjährige Kinder bestellter Verfahrenspfleger für diese abgeschlossen hat, eine die Ausübung der elterlichen Verantwortung im Sinne von Art. 1 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung betreffende Maßnahme darstellt, die somit in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt, und nicht eine Erbschaften im Sinne von Art. 1 Abs. 3 Buchst. f dieser Verordnung betreffende Maßnahme, die vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Nejvyšší soud (Oberstes Gericht, Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 25. Juni 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 25. August 2014, in dem Verfahren
Marie Matoušková, Gerichtskommissarin im Nachlassverfahren,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Richters A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. G. Fernlund,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vlácil als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin und M. Thomannová-Körnerová als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 25. Juni 2015
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 Buchst. f der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. L 338, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines von Frau Matoušková in ihrer Eigenschaft als Gerichtskommissarin im Nachlassverfahren eingeleiteten Verfahrens, mit dem bestimmt werden soll, welches Gericht für die Genehmigung der Vereinbarung zur Erbauseinandersetzung, die der für die minderjährigen Kinder bestellte Verfahrenspfleger für diese abgeschlossen hat, zuständig ist.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung Nr. 2201/2003
Rz. 3
Art. 1 dieser Verordnung bestimmt:
„(1) Diese Verordnung gilt, ungeachtet der Art der Gerichtsbarkeit, für Zivilsachen mit folgendem Gegenstand:
…
b) die Zuweisung, die Ausübung, die Übertragung sowie die vollständige oder teilweise Entziehung der elterlichen Verantwortung.
(2) Die in Absatz 1 Buchstabe b) genannten Zivilsachen betreffen insbesondere:
…
b) die Vormundschaft, die Pflegschaft und entsprechende Rechtsinstitute,
c) die Bestimmung und den Aufgabenbereich jeder Person oder Stelle, die für die Person oder das Vermögen des Kindes verantwortlich ist, es vertritt oder ihm beisteht,
…
e) die Maßnahmen zum Schutz des Kindes im Zusammenhang mit der Verwaltung und Erhaltung seines Vermögens oder der Verfügung darüber.
(3) Diese Verordnung gilt nicht für
…
f) Trusts und Erbschaften,
…”
Rz. 4
In Art. 2 der Verordnung heißt es:
„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck
…
7. ‚elterliche Verantwortung' die gesamten Rechte und Pflichten, die einer natürlichen oder juristischen Person durch Entscheidung oder kraft Gesetzes oder durch eine rechtlich verbindliche Vereinbarung betreffend die Person oder das Vermögen eines Kindes übertragen wurden. Elterliche Verantwortung umfasst insbesondere das Sorge- und das Umgangsrecht;
8. ‚Träger der elterlichen Verantwortung' jede Person, die die elterliche Verantwortung für ein Kind ausübt;
…”
Rz. 5
Art. 8 („Allgemeine Zuständigkeit”) der Verordnung sieht in seinem Abs. 1 vor:
„Für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.”
Rz. 6
Art. 12 der Verordnung Nr. 2201/2003 hat folgenden Wortlaut:
„(1) Die Gerichte des M...