Entscheidungsstichwort (Thema)

Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Richtlinie 2008/115/EG. Gemeinsame Normen und Verfahren im Bereich der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger. Nationale Regelung, die eine Geldstrafe vorsieht, die durch eine Abschiebungsstrafe oder einen Hausarrest ersetzt werden kann

 

Beteiligte

Sagor

Md Sagor

 

Tenor

Die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ist dahin auszulegen,

  • dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die den illegalen Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen mit einer Geldstrafe bestraft, die durch eine Ausweisungsstrafe ersetzt werden kann, nicht entgegensteht und
  • dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die vorsieht, dass der illegale Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen mit Hausarrest bestraft werden kann, ohne sicherzustellen, dass der Vollzug dieser Strafe zu beenden ist, sobald die physische Verbringung des Betroffenen aus diesem Mitgliedstaat möglich ist.
 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale di Rovigo (Italien) mit Entscheidung vom 15. Juli 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 18. August 2011, in dem Strafverfahren gegen

Md Sagor

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter M. Ilešič (Berichterstatter), E. Levits, J.-J. Kasel und M. Safjan,

Generalanwalt: J. Mazák,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. September 2012,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Sagor, vertreten durch C. Tessarin und L. Masera, avvocati,
  • der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Urbani Neri, avvocato dello Stato,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch B. Koopman als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und L. Prete als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348, S. 98) sowie des Art. 4 Abs. 3 EUV.

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines gegen Herrn Sagor eingeleiteten Verfahrens wegen dessen illegalen Aufenthalts im italienischen Hoheitsgebiet.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 2 („Anwendungsbereich”) der Richtlinie 2008/115 sieht vor:

„(1) Diese Richtlinie findet Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige.

(2) Die Mitgliedstaaten können beschließen, diese Richtlinie nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden:

  1. die einem Einreiseverbot … unterliegen oder die von den zuständigen Behörden in Verbindung mit dem illegalen Überschreiten der Außengrenze eines Mitgliedstaats … abgefangen werden …;
  2. die nach einzelstaatlichem Recht aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind oder gegen die ein Auslieferungsverfahren anhängig ist.

…”

Rz. 4

Art. 3 („Begriffsbestimmungen”) dieser Richtlinie bestimmt:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke

4. ‚Rückkehrentscheidung’: die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird;

…”

Rz. 5

Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2008/115 lautet:

„Diese Richtlinie berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten, Vorschriften zu erlassen oder beizubehalten, die für Personen, auf die die Richtlinie Anwendung findet, günstiger sind, sofern diese Vorschriften mit der Richtlinie im Einklang stehen.”

Rz. 6

In den Art. 6 bis 8 der Richtlinie 2008/115 heißt es:

„Artikel 6

Rückkehrentscheidung

(1) Unbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 bis 5 erlassen die Mitgliedstaaten gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung.

(6) Durch diese Richtlinie sollen die Mitgliedstaaten nicht daran gehindert werden, … mit einer einzigen behördlichen oder richterlichen Entscheidung eine Entscheidung über die Beendigung eines legalen Aufenthalts sowie eine Rückkehrentscheidung und/oder eine Entscheidung über eine Abschiebung und/oder ein Einreiseverbot zu erlassen. …

Artikel 7

Freiwillige Ausreise

(1) Eine Rückkehrentscheidung sieht unbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 und 4 eine angemess...

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