Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Staatliche Beihilfen. Beihilferegelung für den Bau kleiner Wasserkraftwerke. Alpine Berghütten ohne Stromnetz. Genehmigung durch die Europäische Kommission. Ablauf
Beteiligte
Tenor
1. Die Genehmigung der Beihilferegelung für den Bau von kleinen Wasserkraftwerken, die sich aus dem Beschluss C(2012) 5048 final der Kommission vom 25. Juli 2012 über die staatliche Beihilfe SA.32113 (2010/N) – Italien: Beihilferegelung betreffend Energieeinsparungen, Fernheizsysteme und die Elektrifizierung abgelegener Gebiete in Alto Adige/Südtirol ergibt, war nicht mehr in Kraft, als die Autonome Provinz Bozen KW und SG Beiträge gewährte.
2. Art. 108 Abs. 3 AEUV ist dahin auszulegen, dass es nicht der Europäischen Kommission obliegt, den Mitgliedstaat aufzufordern, eine rechtswidrige Beihilfe im Sinne von Art. 1 Buchst. f der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union zurückzufordern.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht, Autonome Sektion für die Provinz Bozen (Italien), mit Entscheidungen vom 9. Februar 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Februar 2021, in den Verfahren
KW (C-102/21),
SG (C-103/21)
gegen
Autonome Provinz Bozen
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten S. Rodin sowie des Richters J.-C. Bonichot (Berichterstatter) und der Richterin O. Spineanu-Matei,
Generalanwältin: L. Medina,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von KW, vertreten durch Rechtsanwälte S. Pittracher und H. Wild,
- von SG, vertreten durch Rechtsanwalt M. Durnwalder,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Bouchagiar, C. Kovács und C.-M. Carrega als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssachen zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV und Art. 20 der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ABl. 2015, L 248, S. 9) sowie des Beschlusses C(2012) 5048 final der Kommission vom 25. Juli 2012 über die staatliche Beihilfe SA.32113 (2010/N) – Italien: Beihilferegelung betreffend Energieeinsparungen, Fernheizsysteme und die Elektrifizierung abgelegener Gebiete in Alto Adige/Südtirol (ABl. 2013, C 1, S. 7) (im Folgenden: Beschluss der Kommission vom 25. Juli 2012).
Rz. 2
Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen KW (Rechtssache C-102/21) und SG (Rechtssache C-103/21) auf der einen Seite und der Autonomen Provinz Bozen (Italien) auf der anderen Seite über die Rückzahlung von Beihilfen für den Bau von kleinen Wasserkraftwerken, die von dieser im Rahmen einer mit dem Beschluss der Kommission vom 25. Juli 2012 genehmigten Beihilferegelung (im Folgenden: streitige Beihilferegelung) gewährt wurden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung (EU) Nr. 651/2014
Rz. 3
Art. 41 („Investitionsbeihilfen zur Förderung erneuerbarer Energien”) der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. Juni 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 [AEUV] (ABl. 2014, L 187, S. 1) sieht vor:
„1. Investitionsbeihilfen zur Förderung erneuerbarer Energien sind im Sinne des Artikels 107 Absatz 3 AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar und von der Anmeldepflicht des Artikels 108 Absatz 3 AEUV freigestellt, sofern die in diesem Artikel und in Kapitel I festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind.
…
7. Die Beihilfeintensität darf folgende Sätze nicht überschreiten:
- 45 % der beihilfefähigen Kosten, wenn die beihilfefähigen Kosten auf der Grundlage des Absatzes 6 Buchstabe a oder b berechnet werden;
- 30 % der beihilfefähigen Kosten, wenn die beihilfefähigen Kosten auf der Grundlage des Absatzes 6 Buchstabe c berechnet werden.
8. Bei Beihilfen für kleine Unternehmen kann die Intensität um 20 Prozentpunkte, bei Beihilfen für mittlere Unternehmen um 10 Prozentpunkte erhöht werden.
…”
Verordnung 2015/1589
Rz. 4
Im 28. Erwägungsgrund der Verordnung 2015/1589 heißt es:
„Die missbräuchliche Anwendung von Beihilfen kann sich auf die Funktionsweise des Binnenmarkts in ähnlicher Weise wie eine rechtswidrige Beihilfe auswirken und sollte demnach in ähnlicher Weise behandelt werden. Im Gegensatz zu rechtswidrigen Beihilfen handelt es sich bei Beihilfen, die gegebenenfalls in missbräuchlicher Weise angewandt worden sind, um Beihilfen, die die Kommission zu einem früheren Zeitpunkt genehmigt hat. Deswegen sollte die Kommission bei der missbräuchlichen Anwendung von B...