Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Gerichtliche Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Anwendungsbereich. Begriff ‚Entscheidung’. In einem anderen Mitgliedstaat nach summarischer kontradiktorischer Prüfung einer in einem Drittstaat ergangenen Entscheidung erlassene Zahlungsanordnung. Vollstreckbarkeit in den Mitgliedstaaten

 

Normenkette

Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 Art. 2 Buchst. a, Art. 39

 

Beteiligte

H Limited

J

H Limited

 

Tenor

Art. 2 Buchst. a und Art. 39 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sind dahin auszulegen, dass ein Beschluss mit einer Zahlungsanordnung, den ein Gericht eines Mitgliedstaats auf der Grundlage von in einem Drittstaat ergangenen rechtskräftigen Urteilen erlässt, eine Entscheidung darstellt und in den anderen Mitgliedstaaten vollstreckbar ist, wenn er am Ende eines kontradiktorischen Verfahrens im Ursprungsmitgliedstaat erlassen und dort für vollstreckbar erklärt wurde, wobei dieser Charakter als Entscheidung dem Vollstreckungsschuldner nicht das Recht nimmt, nach Art. 46 dieser Verordnung die Versagung der Vollstreckung aus einem der in Art. 45 der Verordnung genannten Gründe zu beantragen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 23. September 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 2. November 2020, in dem Verfahren

J

gegen

H Limited

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter N. Jääskinen, M. Safjan (Berichterstatter), N. Piçarra und M. Gavalec,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von J, vertreten durch Rechtsanwalt C. Straberger,
  • der H Limited, vertreten durch Rechtsanwalt S. Turic,
  • der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, M. Hellmann und U. Bartl als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller und H. Leupold als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Dezember 2021

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1, Art. 2 Buchst. a, Art. 39 und Art. 42 Abs. 1 Buchst. b sowie der Art. 45, 46 und 53 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen J und der H Limited über die Vollstreckung eines vom High Court of Justice (England & Wales) (Hoher Gerichtshof [England und Wales], Vereinigtes Königreich) (im Folgenden: High Court) auf der Grundlage von zwei in Jordanien ergangenen Urteilen erlassenen Beschlusses mit einer Zahlungsanordnung in Österreich.

Rechtlicher Rahmen

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 4, 6, 26 und 34 der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es:

„(4) Die Unterschiede zwischen bestimmten einzelstaatlichen Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung von Entscheidungen erschweren das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts. Es ist daher unerlässlich, Bestimmungen zu erlassen, um die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen zu vereinheitlichen und eine rasche und unkomplizierte Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zu gewährleisten, die in einem Mitgliedstaat ergangen sind.

(6) Um den angestrebten freien Verkehr der Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zu verwirklichen, ist es erforderlich und angemessen, dass die Vorschriften über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen im Wege eines Unionsrechtsakts festgelegt werden, der verbindlich und unmittelbar anwendbar ist.

(26) Das gegenseitige Vertrauen in die Rechtspflege innerhalb der [Europäischen] Union rechtfertigt den Grundsatz, dass eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung in allen Mitgliedstaaten anerkannt wird, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Außerdem rechtfertigt die angestrebte Reduzierung des Zeit- und Kostenaufwands bei grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten die Abschaffung der Vollstreckbarerklärung, die der Vollstreckung im ersuchten Mitgliedstaat bisher vorausgehen musste. Eine von den Gerichten eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung sollte daher so behandelt werden, als sei sie im ersuchten Mitgliedstaat ergangen.

(34) Um die Kontinuität zwischen dem … Übereinkommen [vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelss...

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