Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Öffentliche Aufträge. Nachprüfungsverfahren. Schadensersatzklage. Nationale Regelung, nach der die Zulässigkeit einer Schadensersatzklage von einer vorherigen rechtskräftigen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, auf die der behauptete Schaden zurückgeht, abhängig gemacht wird. Nichtigkeitsklage. Vorherige Nachprüfung vor einer Schiedsstelle. Gerichtliche Überprüfung der Beschlüsse einer Schiedsstelle. Nationale Regelung, nach der die Geltendmachung von nicht vor der Schiedsstelle vorgetragenen Gründen ausgeschlossen ist. Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz. Grundsätze der Effektivität und der Äquivalenz
Normenkette
Richtlinie 89/665/EWG Art. 2 Abs. 6; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 47
Beteiligte
Budapest Főváros Önkormányzata |
Tenor
1. Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Verfahrensregelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegensteht, die die Möglichkeit der Geltendmachung eines zivilrechtlichen Anspruchs wegen des Verstoßes gegen Bestimmungen über öffentliche Aufträge und die Vergabe öffentlicher Aufträge der Voraussetzung unterwirft, dass eine Schiedsstelle bzw. – bei einer gerichtlichen Überprüfung des Beschlusses dieser Schiedsstelle – ein Gericht die Rechtsverletzung rechtskräftig feststellt.
2. Das Unionsrecht, insbesondere Art. 1 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 89/665 in der durch die Richtlinie 2014/23 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ist dahin auszulegen, dass es im Kontext einer Schadensersatzklage einer nationalen Verfahrensregelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegensteht, die die gerichtliche Überprüfung der Beschlüsse einer Schiedsstelle, die in erster Instanz für die Kontrolle der Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber im Rahmen von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge zuständig ist, ausschließlich auf die Prüfung der Gründe beschränkt, die vor dieser Stelle geltend gemacht wurden.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn) mit Entscheidung vom 11. Mai 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Mai 2017, in dem Verfahren
Hochtief AG
gegen
Budapest Főváros Önkormányzata
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen sowie der Richter J. Malenovský, M. Safjan, D. Šváby und M. Vilaras (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Wathelet,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und der mündlichen Verhandlung vom 30. April 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Hochtief AG, vertreten durch A. László, ügyvéd, und I. Varga, konzulens,
- der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Fehér und G. Koós als Bevollmächtigte,
- der griechischen Regierung, vertreten durch M. Tassopoulou, D. Tsagkaraki, E. Tsaousi und K. Georgiadis als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Ondrůšek und A. Tokár als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. Juni 2018
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. 1989, L 395, S. 33) in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (ABl. 2014, L 94, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/665).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Hochtief AG und der Budapest Főváros Önkormányzata (Selbstverwaltung der Hauptstadt Budapest, Ungarn, im Folgenden: öffentlicher Auftraggeber) betreffend eine Klage auf Ersatz eines Schadens, den Hochtief wegen eines Verstoßes gegen vergaberechtliche Vorschriften erlitten haben will.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4 der Richtlinie 89/665 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufheb...