Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Telekommunikation. Verarbeitung personenbezogener Daten in der elektronischen Kommunikation. Geltungsbereich. Von Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste gespeicherte und mit Strafverfahren befassten Behörden zur Verfügung gestellte Daten. Spätere Nutzung der Daten bei Ermittlungen wegen eines Dienstvergehens
Normenkette
Richtlinie 2002/58/EG Art. 15 Abs. 1
Beteiligte
Lietuvos Respublikos generalinė prokuratūra |
Tenor
Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 geänderten Fassung ist im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie von Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
dahin auszulegen, dass
er dem entgegensteht, dass personenbezogene Daten elektronischer Kommunikationsvorgänge, die in Anwendung einer aufgrund dieser Bestimmung erlassenen Rechtsvorschrift von Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste auf Vorrat gespeichert und in der Folge in Anwendung dieser Rechtsvorschrift den zuständigen Behörden zur Bekämpfung schwerer Kriminalität zur Verfügung gestellt wurden, im Rahmen von Untersuchungen wegen Dienstvergehen im Zusammenhang mit Korruption genutzt werden dürfen.
Tatbestand
In der Rechtssache C-162/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht, Litauen) mit Entscheidung vom 24. Februar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 3. März 2022, in dem Verfahren
A. G.,
Beteiligte:
Lietuvos Respublikos generalinė prokuratūra,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Richter P. G. Xuereb (Berichterstatter), T. von Danwitz und A. Kumin sowie der Richterin I. Ziemele,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Lamote, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. Februar 2023,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von A. G., vertreten durch G. Danėlius, Advokatas,
- – der litauischen Regierung, vertreten durch S. Grigonis, V. Kazlauskaitė-Švenčionienė und V. Vasiliauskienė als Bevollmächtigte,
- – der tschechischen Regierung, vertreten durch O. Serdula, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- – der estnischen Regierung, vertreten durch M. Kriisa als Bevollmächtigte,
- – Irlands, vertreten durch M. Browne, A. Joyce und M. Tierney als Bevollmächtigte im Beistand von D. Fennelly, BL,
- – der französischen Regierung, vertreten durch R. Bénard als Bevollmächtigten,
- – der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von A. Grumetto, Avvocato dello Stato,
- – der ungarischen Regierung, vertreten durch Zs. Biró-Tóth und M. Z. Fehér als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch S. L. Kalėda, H. Kranenborg, P.-J. Loewenthal und F. Wilman als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. März 2023
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) (ABl. 2002, L 201, S. 37) in der durch die Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 (ABl. 2009, L 337, S. 11) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2002/58).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines von A. G. angestrengten Verfahrens wegen der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen der Lietuvos Respublikos generalinė prokuratūra (Generalstaatsanwaltschaft der Republik Litauen, im Folgenden: Generalstaatsanwaltschaft), mit denen A. G. seines Amtes als Staatsanwalt enthoben wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In Art. 1 („Geltungsbereich und Zielsetzung“) der Richtlinie 2002/58 heißt es:
„(1) Diese Richtlinie sieht die Harmonisierung der Vorschriften der Mitgliedstaaten vor, die erforderlich sind, um einen gleichwertigen Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten, insbesondere des Rechts auf Privatsphäre und Vertraulichkeit, in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Bereich der elektronischen Kommunikation sowie den freien Verkehr dieser Daten und von elektronischen Kommunikationsgeräten und -diensten in der Gemeinschaft zu gewährleisten.
…
(3) Diese Richtlinie gilt nicht für Tätigkeiten, die nicht in den Anwendungsbereich des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft fallen, beispielsweise Tätigkeiten gemä...