Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen. Umwelt. Umweltverträglichkeitsprüfung. Übereinkommen von Aarhus. Recht zur Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen eine Genehmigungsentscheidung. Zeitliche Geltung. Vor Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2003/35/EG eingeleitetes Genehmigungsverfahren. Danach erlassene Entscheidung. Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage. Rechtsverletzung. Art des Verfahrensfehlers, der geltend gemacht werden kann. Umfang der Nachprüfung
Normenkette
Richtlinie 85/337/EWG; Richtlinie 2003/35/EG
Beteiligte
Tenor
1. Die in der Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, mit der Art. 10a in die Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten eingefügt wurde, vorgesehene Umsetzungsfrist bis zum 25. Juni 2005 ist dahin auszulegen, dass die zur Umsetzung des genannten Artikels ergangenen Vorschriften des nationalen Rechts auch für behördliche Genehmigungsverfahren gelten müssen, die vor dem 25. Juni 2005 eingeleitet worden waren, in denen aber erst nach diesem Zeitpunkt eine Genehmigung erteilt wurde.
2. Art. 10a der Richtlinie 85/337 in der durch die Richtlinie 2003/35 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten daran hindert, die Anwendbarkeit der zur Umsetzung dieses Artikels ergangenen Vorschriften auf den Fall zu beschränken, dass die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung aufgrund des Unterbleibens einer Umweltverträglichkeitsprüfung angefochten wird, und nicht auf den Fall zu erstrecken, dass eine solche Prüfung zwar durchgeführt wurde, aber fehlerhaft war.
3. Art. 10a Buchst. b der Richtlinie 85/337 in der durch die Richtlinie 2003/35 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsprechung nicht entgegensteht, nach der keine Rechtsverletzung im Sinne dieses Artikels vorliegt, wenn nach den Umständen des konkreten Falls nachweislich die Möglichkeit besteht, dass die angegriffene Entscheidung ohne den vom Rechtsbehelfsführer geltend gemachten Verfahrensfehler nicht anders ausgefallen wäre. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht oder die mit ihm befasste Stelle dem Rechtsbehelfsführer insoweit in keiner Form die Beweislast aufbürdet und gegebenenfalls anhand der vom Bauherrn oder von den zuständigen Behörden vorgelegten Beweise und allgemeiner der gesamten dem Gericht oder der Stelle vorliegenden Akte entscheidet. Dabei ist u. a. der Schweregrad des geltend gemachten Fehlers zu berücksichtigen und insbesondere zu prüfen, ob dieser Fehler der betroffenen Öffentlichkeit eine der Garantien genommen hat, die geschaffen wurden, um ihr im Einklang mit den Zielen der Richtlinie 85/337 Zugang zu Informationen und die Beteiligung am Entscheidungsprozess zu ermöglichen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesverwaltungsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 10. Januar 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Februar 2012, in dem Verfahren
Gemeinde Altrip,
Gebrüder Hört GbR,
Willi Schneider
gegen
Land Rheinland-Pfalz,
Beteiligter:
Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter J. L. da Cruz Vilaça, G. Arestis, J.-C. Bonichot (Berichterstatter) und A. Arabadjiev,
Generalanwalt: P. Cruz Villalón,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Januar 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Gemeinde Altrip, der Gebrüder Hört GbR und von Herrn Schneider, vertreten durch die Rechtsanwälte S. Lesch, F. Heß, W. Baumann und C. Heitsch,
- des Landes Rheinland-Pfalz, vertreten durch M. Schanzenbächer, H. Seiberth und U. Klein als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und A. Wiedmann als Bevollmächtigte,
- von Irland, vertreten durch E. Creedon als Bevollmächtigte im Beistand von G. Gilmore, BL,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Oliver und G. Wilms als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Juni 2013
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentl...