Entscheidungsstichwort (Thema)
Unionsbürgerschaft. Art. 20 AEUV. Gewährung eines auf das Unionsrecht gestützten Aufenthaltsrechts für ein minderjähriges Kind im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, dessen Staatsbürgerschaft es besitzt, unabhängig davon, ob es zuvor von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hat. Gewährung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts unter denselben Umständen für einen einem Drittstaat angehörenden Verwandten aufsteigender Linie, der dem minderjährigen Kind Unterhalt gewährt. Auswirkungen des Aufenthaltsrechts des minderjährigen Kindes auf die arbeitsrechtlichen Erfordernisse, die sein einem Drittstaat angehörender Verwandter aufsteigender gerader Linie zu erfüllen hat
Beteiligte
Office national de l'emploi (ONEM) |
Tenor
Art. 20 AEUV ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, einem Drittstaatsangehörigen, der seinen minderjährigen Kindern, die Unionsbürger sind, Unterhalt gewährt, zum einen den Aufenthalt im Wohnsitzmitgliedstaat der Kinder, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, zu verweigern und ihm zum anderen eine Arbeitserlaubnis zu verweigern, da derartige Entscheidungen diesen Kindern den tatsächlichen Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehren würde.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunal du travail de Bruxelles (Belgien) mit Entscheidung vom 19. Dezember 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Januar 2009, in dem Verfahren
Gerardo Ruiz Zambrano
gegen
Office national de l'emploi (ONEm)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter), K. Lenaerts und J.-C. Bonichot, der Richter A. Rosas, M. Ileěič, J. Malenovský, U. Lõhmus, E. Levits, A. Ó Caoimh und L. Bay Larsen sowie der Richterin M. Berger,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Januar 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Ruiz Zambrano, vertreten durch P. Robert, avocat,
- der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet als Bevollmächtigte im Beistand von F. Motulsky und K. de Haes, avocats,
- der dänischen Regierung, vertreten durch B. Weis Fogh als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte,
- Irlands, vertreten durch D. O'Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von D. Conlan Smyth, Barrister,
- der griechischen Regierung, vertreten durch S. Vodina, T. Papadopoulou und M. Michelogiannaki als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch A. Czubinski als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels, M. de Grave und J. Langer als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten,
- der polnischen Regierung, vertreten zunächst durch M. Dowgielewicz, dann durch M. Szpunar als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Maidani und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 30. September 2010
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 12 EG, 17 EG und 18 EG sowie der Art. 21, 24 und 34 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta der Grundrechte).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Ruiz Zambrano, kolumbianischer Staatsangehöriger, und dem Office national de l'emploi (ONEm) wegen dessen Weigerung, Herrn Ruiz Zambrano gemäß den belgischen Rechtsvorschriften Arbeitslosengeld zu gewähren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, berichtigt in ABl. 2004, L 229, S. 35) bestimmt:
„Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.”
Nationales Recht
Belgisches Staatsangehörigkeitsgesetz
Rz. 4
Nach Art. 10 Abs. 1 des belgischen Staatsangehörigkeitsgesetzes (Moniteur belge vom 12. Juli 1984, S. 10095) in der zur maßgebenden Zeit geltenden Fassung galten als belgische Staatsangehörige
„Kinder, die in Belgien geboren sind und zu irgendeinem Zeitpunkt vor der Vollendung ihres 18. Lebensjahres oder einer zuvor erfolgten Volljährigkeitserklärung staatenlos ...