Entscheidungsstichwort (Thema)
Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei. Nichtigerklärung der Wahl zur Vollversammlung der Arbeiterkammer des Landes Vorarlberg. Verbot der Diskriminierung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen. Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft. Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die türkische Arbeitnehmer von der Wählbarkeit in Arbeiterkammern ausschließen
Normenkette
Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates Art. 10 Abs. 1; EWGV 1612/68
Beteiligte
Wählergruppe "Gemeinsam Zajedno / Birlikte Alternative und Grüne GewerkschafterInnen/ |
Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit |
Kammer für Arbeiter und Angestellte für Vorarlberg |
Wählergruppe „FSG - Walter Gelbmann - mit euch ins nächste Jahrtausend/Liste 2“ |
Wählergruppe „Freiheitliche und parteifreie Arbeitnehmer Vorarlberg - FPÖ“ |
Wählergruppe „Gewerkschaftlicher Linksblock“ |
Wählergruppe "Vorarlberger Arbeiter- und Angestelltenbund (ÖAAB) - AK-Präsident Josef Fink“ |
Wählergruppe „NBZ - Neue Bewegung für die Zukunft“ |
Wählergruppe "Gemeinsam Zajedno / Birlikte Alternative und Grüne GewerkschafterInnen/UG" |
Verfahrensgang
Tenor
Artikel 10 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des durch das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschaffenen Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung unmittelbare Wirkung in den Mitgliedstaaten hat und dass sie der Anwendung einer mitgliedstaatlichen Regelung entgegensteht, die türkische Arbeitnehmer, die dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats angehören, vom Recht auf Wählbarkeit in die Vollversammlung einer Einrichtung zur Vertretung und zur Verteidigung der Interessen von Arbeitnehmern wie der österreichischen Arbeiterkammern ausschließt.
Gründe
1.
Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 2. März 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 19. April 2001, gemäß Artikel 234 EG zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 10 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: Beschluss Nr. 1/80) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der Assoziationsrat wurde durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnet und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde (im Folgenden: Assoziierungsabkommen).
2.
Die Fragen stellen sich in einem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof, das von der Wählergruppe Gemeinsam Zajedno/Birlikte Alternative und GrüneGewerkschafterInnen/UG (im Folgenden: Wählergruppe Gemeinsam) eingeleitet wurde, um die Nichtigerklärung der Wahl zur Vollversammlung der Arbeiterkammer des Landes Vorarlberg zu erwirken, die vom 6. bis 23. April 1999 stattfand.
Rechtlicher Rahmen
Assoziation EWG-Türkei
3.
Das Assoziierungsabkommen hat nach seinem Artikel 2 das Ziel, eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien zu fördern, und zwar im Bereich der Arbeitskräfte durch die schrittweise Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Artikel 12) sowie durch die Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit (Artikel 13) und des freien Dienstleistungsverkehrs (Artikel 14), um die Lebenshaltung des türkischen Volkes zu verbessern und später den Beitritt der Republik Türkei zur Gemeinschaft zu erleichtern (vierte Begründungserwägung der Präambel und Artikel 28).
4.
Das Assoziierungsabkommen sieht hierzu eine Vorbereitungsphase vor, die es der Republik Türkei ermöglichen soll, ihre Wirtschaft mit Hilfe der Gemeinschaft zu festigen (Artikel 3), eine Übergangsphase, in der die schrittweise Errichtung einer Zollunion und die Annäherung der Wirtschaftspolitiken erfolgen (Artikel 4), und eine Endphase, die auf der Zollunion beruht und eine verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitiken der Vertragsparteien einschließt (Artikel 5).
5.
Artikel 6 des Assoziierungsabkommens lautet:
Um die Anwendung und schrittweise Entwicklung der Assoziationsregelung sicherzustellen, treten die Vertragsparteien in einem Assoziationsrat zusammen; dieser wird im Rahmen der Befugnisse tätig, die ihm in dem Abkommen zugewiesen sind.
6.
Artikel 8 des Assoziierungsabkommens, der zu dem mit Durchführung der Übergangsphase überschriebenen Titel II gehört, bestimmt:
Zur Verwirklichung der in Artikel 4 genannten Ziele bestimmt der ...