Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten. Anwendbarkeit der Verordnung 2016/679. Begriff ‚berechtigtes Interesse’. Wendung ‚Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt’. Rechtmäßigkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten, die im Zuge strafrechtlicher Ermittlungen erhoben wurden. Weiterverarbeitung von Daten in Bezug auf das mutmaßliche Opfer einer Straftat für den Zweck seiner Anklage. Wendung ‚anderer Zweck als der, für den die personenbezogenen Daten erhoben werden’. Daten, die von der Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaats für die Zwecke ihrer Verteidigung gegenüber einer Staatshaftungsklage verwendet werden
Normenkette
EUVO 679/2016 Art. 2, 4, 6; EURL 680/2016 Art. 1, 3-4, 6, 9
Beteiligte
Inspektor v Inspektorata kam Visshia sadeben savet |
Inspektor v Inspektorata kam Visshia sadeben savet |
Tenor
1. Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 und Art. 6 der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates
ist dahin auszulegen, dass
eine Verarbeitung personenbezogener Daten einem anderen Zweck als dem dient, für den diese Daten erhoben wurden, wenn die Daten für den Zweck der Ermittlung und Aufdeckung einer Straftat erhoben wurden, die Verarbeitung aber zum Zweck der Verfolgung einer Person nach den fraglichen strafrechtlichen Ermittlungen erfolgt, und zwar unabhängig davon, ob diese Person zum Zeitpunkt der Datenerhebung als Opfer angesehen wurde, und dass eine solche Verarbeitung nach Art. 4 Abs. 2 dieser Richtlinie zulässig ist, sofern sie die dort vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt.
2. Art. 3 Nr. 8 und Art. 9 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2016/680 sowie Art. 2 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)
sind dahin auszulegen, dass
diese Verordnung für Verarbeitungen personenbezogener Daten durch die Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaats zum Zweck der Wahrnehmung ihrer Verteidigungsrechte im Rahmen eines Verfahrens über eine Staatshaftungsklage gilt, wenn die Staatsanwaltschaft zum einen das zuständige Gericht darüber informiert, dass Akten über eine an diesem Verfahren beteiligte Person existieren, die zu den in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2016/680 genannten Zwecken angelegt wurden, und zum anderen diese Akten dem Gericht übermittelt.
3. Art. 6 Abs. 1 der Verordnung 2016/679
ist dahin auszulegen, dass
in dem Fall, dass eine Staatshaftungsklage auf Verstöße gestützt wird, die die Staatsanwaltschaft im Rahmen der Wahrnehmung ihrer Aufgaben im Bereich des Strafrechts begangen haben soll, solche Verarbeitungen personenbezogener Daten als rechtmäßig angesehen werden können, wenn sie im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. e dieser Verordnung für die Wahrnehmung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe des Schutzes der rechtlichen und finanziellen Interessen des Staates, mit der die Staatsanwaltschaft im Rahmen dieses Verfahrens nach nationalem Recht betraut ist, erforderlich sind, sofern diese Verarbeitungen personenbezogener Daten alle einschlägigen Anforderungen der DSGVO erfüllen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Administrativen sad – Blagoevgrad (Verwaltungsgericht Blagoevgrad, Bulgarien) mit Entscheidung vom 19. März 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 23. März 2021, in dem Verfahren
VS
gegen
Inspektor v Inspektorata kam Visshia sadeben savet,
Beteiligte:
Teritorialno otdelenie – Petrich kam Rayonna prokuratura – Blagoevgrad,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter D. Gratsias (Berichterstatter), M. Ilešič, I. Jarukaitis und Z. Csehi,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von VS, vertreten durch V. Harizanova,
- des Inspektor v Inspektorata kam Visshia sadeben savet, vertreten durch S. Mulyachka,
- der bulgarischen Regierung, vertreten durch M. Georgieva und T. Mitova als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch O. Serdula, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und J. M. Hoogveld als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission vertreten durch H. Kranenborg und I. Zaloguin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung ...