Entscheidungsstichwort (Thema)
Niederlassungsfreiheit. Art. 43 EG. Richtlinie 73/148/EWG. Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der sich in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen hat. Aufenthaltsrecht eines Verwandten in aufsteigender Linie des Ehegatten, wobei beide Drittstaatsangehörige sind. Verpflichtung dieses Verwandten, sich in dem Zeitpunkt, in dem er seiner Familie in den Mitgliedstaat der Niederlassung folgt, in einem Mitgliedstaat rechtmäßig aufzuhalten. Nachweis der Eigenschaft als Verwandter in aufsteigender Linie, dem der erforderliche Unterhalt gewährt wird
Beteiligte
Tenor
1. Das Gemeinschaftsrecht verpflichtet die Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung des Urteils vom 23. September 2003, Akrich (C-109/01), nicht, die Gewährung eines Aufenthaltsrechts an ein einem Drittstaat angehörendes Familienmitglied eines Gemeinschaftsangehörigen, der von der Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, an die Voraussetzung zu knüpfen, dass sich dieses Familienmitglied vorher rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hat.
2. Art. 1 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 73/148/EWG des Rates vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs ist dahin auszulegen, dass unter „Unterhalt gewähren” zu verstehen ist, dass das Familienmitglied eines in einem anderen Mitgliedstaat im Sinne des Art. 43 EG niedergelassenen Gemeinschaftsangehörigen der materiellen Unterstützung durch diesen Gemeinschaftsangehörigen oder dessen Ehegatten bedarf, um seine Grundbedürfnisse in seinem Herkunftsstaat in dem Zeitpunkt zu decken, in dem er beantragt, dem Gemeinschaftsangehörigen zu folgen. Art. 6 Buchst. b dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass der Nachweis des Unterhaltsbedarfs mit jedem geeigneten Mittel geführt werden kann, dass es aber zulässig ist, die bloße Verpflichtungserklärung des Gemeinschaftsangehörigen oder seines Ehegatten, diesem Familienmitglied Unterhalt zu gewähren, nicht als Nachweis dafür anzusehen, dass dieses tatsächlich unterhaltsbedürftig ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Utlänningsnämnd (Schweden) mit Entscheidung vom 30. Dezember 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Januar 2005, in dem Verfahren
Yunying Jia
gegen
Migrationsverk
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas, P. Kuris und E. Juhász sowie der Richter J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter), K. Schiemann, U. Lõhmus, E. Levits und A. Ó Caoimh,
Generalanwalt: L. A. Geelhoed,
Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. Februar 2006,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Frau Jia, vertreten durch M. Johansson, advokat,
- der schwedischen Regierung, vertreten durch K. Norman und A. Falk als Bevollmächtigte,
- der belgischen Regierung, vertreten durch M. Wimmer als Bevollmächtigten,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster, C. ten Dam und C. Wissels als Bevollmächtigte,
- der slowakischen Regierung, vertreten durch R. Procházka als Bevollmächtigten,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Nwaokolo als Bevollmächtigten im Beistand von M. Hoskins und J. Stratford, Barristers,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Condou-Durande und L. Parpala als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. April 2006
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 73/148/EWG des Rates vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs (ABl. L 172, S. 14) und von Art. 43 EG.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Jia, einer chinesischen Staatsangehörigen im Ruhestand, und dem Migrationsverk (Einwanderungsbehörde) wegen der Ablehnung des Antrags von Frau Jia auf Erteilung einer Genehmigung für den langfristigen Aufenthalt in Schweden.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 73/148 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten heben nach Maßgabe dieser Richtlinie die Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen auf:
a) für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, die sich in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen haben oder niederlassen wollen, um eine selbständige Tätigkeit auszuüben, oder die dort eine Dienstleistung erbringen wollen;
…
d) ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit für Verwandte in aufsteigender und absteigender Linie dieser Staatsangehörigen und ihrer Ehegatten, denen diese Unterhalt gewähren.”
4 Art. 3 dieser Richtlinie lautet:
„(1) Die Mitgliedstaat...