Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten. Datenschutzbeauftragter. Verbot der Abberufung wegen der Erfüllung seiner Aufgaben. Erfordernis der funktionellen Unabhängigkeit. Nationale Regelung, nach der die Abberufung eines Datenschutzbeauftragten bei Fehlen eines wichtigen Grundes verboten ist. Interessenkonflikt. Kriterie
Normenkette
EUVO 679/2016 Art. 38 Abs. 3, 6
Beteiligte
X-FAB Dresden GmbH & Co. KG |
Tenor
1. Art. 38 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der ein bei einem Verantwortlichen oder einem Auftragsverarbeiter beschäftigter Datenschutzbeauftragter nur aus wichtigem Grund abberufen werden kann, auch wenn die Abberufung nicht mit der Erfüllung seiner Aufgaben zusammenhängt, sofern diese Regelung die Verwirklichung der Ziele dieser Verordnung nicht beeinträchtigt.
2. Art. 38 Abs. 6 der Verordnung (EU) 2016/679 ist dahin auszulegen, dass ein „Interessenkonflikt” im Sinne dieser Bestimmung bestehen kann, wenn einem Datenschutzbeauftragten andere Aufgaben oder Pflichten übertragen werden, die ihn dazu veranlassen würden, die Zwecke und Mittel der Verarbeitung personenbezogener Daten bei dem Verantwortlichen oder seinem Auftragsverarbeiter festzulegen. Ob dies der Fall ist, muss das nationale Gericht im Einzelfall auf der Grundlage einer Würdigung aller relevanten Umstände, insbesondere der Organisationsstruktur des Verantwortlichen oder seines Auftragsverarbeiters, und im Licht aller anwendbaren Rechtsvorschriften, einschließlich etwaiger interner Vorschriften des Verantwortlichen oder des Auftragsverarbeiters, feststellen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesarbeitsgericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 27. April 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Juli 2021, in dem Verfahren
X-FAB Dresden GmbH & Co. KG
gegen
FC
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. G. Xuereb sowie des Richters A. Kumin und der Richterin I. Ziemele (Berichterstatterin),
Generalanwalt: J. Richard de la Tour,
Kanzler: D. Dittert, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. September 2022,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der X-FAB Dresden GmbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwalt S. Leese,
- von FC, vertreten durch R. Buschmann und T. Heller als Prozessbevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, D. Klebs und P.-L. Krüger als Bevollmächtigte,
- des Europäischen Parlaments, vertreten durch O. Hrstková Šolcová und B. Schäfer als Bevollmächtigte,
- des Rates der Europäischen Union, vertreten durch T. Haas und K. Pleśniak als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Bouchagiar, K. Herrmann und H. Kranenborg als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung und die Gültigkeit von Art. 38 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. 2016, L 119, S. 1, berichtigt in ABl. 2018, L 127, S. 2) (im Folgenden: DSGVO) sowie die Auslegung von Art. 38 Abs. 6 dieser Verordnung.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der X-FAB Dresden GmbH & Co. KG (im Folgenden: X-FAB) und FC, der bei ihr beschäftigt ist, wegen der von X-FAB ausgesprochenen Abberufung von FC von seiner Stellung als Datenschutzbeauftragter.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 10 und 97 der DSGVO heißt es:
„(10) Um ein gleichmäßiges und hohes Datenschutzniveau für natürliche Personen zu gewährleisten und die Hemmnisse für den Verkehr personenbezogener Daten in der [Europäischen] Union zu beseitigen, sollte das Schutzniveau für die Rechte und Freiheiten von natürlichen Personen bei der Verarbeitung dieser Daten in allen Mitgliedstaaten gleichwertig sein. Die Vorschriften zum Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten von natürlichen Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten sollten unionsweit gleichmäßig und einheitlich angewandt werden. …
…
(97) … Derartige Datenschutzbeauftragte sollten unabhängig davon, ob es sich bei ihnen um Beschäftigte des Verantwortlichen handelt oder nicht, ihre Pflichten und Aufgaben in vollständiger Unabhängigkeit ausüben können.”
Rz. 4
Art. 37 („Benennung ...