Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Verbraucherschutz. Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher. Vorzeitige Rückzahlung. Recht des Verbrauchers auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrags richtet. Begriff ‚Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher’. Laufzeitunabhängige Kosten
Normenkette
Richtlinie 2014/17/EU Art. 25 Abs. 1, Art. 4 Nr. 13
Beteiligte
UniCredit Bank Austria AG |
Verein für Konsumenteninformation |
Tenor
Art. 25 Abs. 1 der Richtlinie 2014/17/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Februar 2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010
ist dahin auszulegen, dass
er einer nationalen Regelung, die vorsieht, dass das Recht des Verbrauchers auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits bei vorzeitiger Rückzahlung des Kredits nur die Zinsen und die laufzeitabhängigen Kosten umfasst, nicht entgegensteht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 19. August 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 9. September 2021, in dem Verfahren
UniCredit Bank Austria AG
gegen
Verein für Konsumenteninformation
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter M. Safjan (Berichterstatter), N. Piçarra, N. Jääskinen und M. Gavalec,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: S. Beer, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juli 2022,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der UniCredit Bank Austria AG, vertreten durch Rechtsanwälte M. Kellner und F. Liebel,
- des Vereins für Konsumenteninformation, vertreten durch Rechtsanwältin A.-M. Kosesnik-Wehrle und Rechtsanwalt S. Langer,
- der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und M. Hellmann als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Rocchitta, Avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Goddin, B.-R. Killmann und H. Tserepa-Lacombe als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. September 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 25 Abs. 1 der Richtlinie 2014/17/ЕU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Februar 2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (ABl. 2014, L 60, S. 34).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der UniCredit Bank Austria AG (im Folgenden: UCBA) und dem Verein für Konsumenteninformation (im Folgenden: VKI) über die Verwendung einer Standardklausel in den Immobilienkreditverträgen der UCBA, die vorsieht, dass bei vorzeitiger Rückzahlung des Kredits durch den Verbraucher die laufzeitunabhängigen Bearbeitungsspesen nicht rückerstattet werden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2008/48/EG
Rz. 3
In Art. 3 („Begriffsbestimmungen”) der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66) heißt es:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
…
g) ‚Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher’ sämtliche Kosten, einschließlich der Zinsen, Provisionen, Steuern und Kosten jeder Art – ausgenommen Notargebühren –, die der Verbraucher im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag zu zahlen hat und die dem Kreditgeber bekannt sind; Kosten für Nebenleistungen im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag, insbesondere Versicherungsprämien, sind ebenfalls enthalten, wenn der Abschluss des Vertrags über diese Nebenleistung eine zusätzliche zivile Voraussetzung dafür ist, dass der Kredit überhaupt oder nach den vorgesehenen Vertragsbedingungen gewährt wird;
…”
Rz. 4
Art. 16 („Vorzeitige Rückzahlung”) Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 lautet:
„Der Verbraucher ist berechtigt, seine Verbindlichkeiten aus einem Kreditvertrag jederzeit ganz oder teilweise zu erfüllen. In solchen Fällen hat der Verbraucher das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrags richtet.”
Richtlinie 2014/17
Rz. 5
In den Erwägungsgründen 15, 19, 20, 22 und 50 der Richtlinie 2014/17 heißt es:
„(15) Durch diese Richtlinie soll gewährleistet werden, dass Immobilienkreditverträge, die mit Verbrauchern geschlossen werden, ein hohes Maß an Schutz genießen. …
…
(19) Aus Gründen der Rechtssicherheit sollte der Rechtsrahmen der [Europäischen] Union für Wohnimmobilienkreditverträge mit anderen Rechtsvorschriften der Union, insbesondere in den Bereichen Verbraucherschutz und Aufsichtsrecht, ...