Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Geistiges Eigentum. Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft. Begriff ‚öffentliche Wiedergabe’. Verlinkung eines urheberrechtlich geschützten Werks auf der Website eines Dritten im Wege des Framing. Mit Erlaubnis des Rechtsinhabers auf der Website des Lizenznehmers frei zugängliches Werk. Klausel des Verwertungsvertrags, wonach der Lizenznehmer wirksame technische Maßnahmen gegen Framing zu treffen hat. Zulässigkeit. Grundrechte
Normenkette
Richtlinie 2001/29/EG Art. 3 Abs. 1; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 11, 17 Abs. 2
Beteiligte
Stiftung Preußischer Kulturbesitz |
Tenor
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin auszulegen, dass die Einbettung in die Website eines Dritten im Wege der Framing-Technik von urheberrechtlich geschützten und der Öffentlichkeit mit Erlaubnis des Inhabers des Urheberrechts auf einer anderen Website frei zugänglich gemachten Werken eine öffentliche Wiedergabe im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn sie unter Umgehung von Schutzmaßnahmen gegen Framing erfolgt, die der Rechtsinhaber getroffen oder veranlasst hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 25. April 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Mai 2019, in dem Verfahren
VG Bild-Kunst
gegen
Stiftung Preußischer Kulturbesitz
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot und A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten M. Ilešič (Berichterstatter), L. Bay Larsen, N. Piçarra, A. Kumin und N. Wahl sowie der Richter T. von Danwitz, M. Safjan, D. Šváby, I. Jarukaitis und N. Jääskinen,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: M. Krausenböck, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Mai 2020,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der VG Bild-Kunst, vertreten durch Rechtsanwälte C. Czychowski und V. Kraetzig,
- der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, vertreten durch Rechtsanwalt N. Rauer,
- der französischen Regierung, vertreten durch A.-L. Desjonquères und A. Daniel als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch T. Scharf, V. Di Bucci und J. Samnadda als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. September 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10, Berichtigung ABl. 2002, L 6, S. 71).
Rz. 2
Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der VG Bild-Kunst, einer Gesellschaft zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten an Werken der bildenden Künste in Deutschland, und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (im Folgenden: SPK), einer deutschen Stiftung zur Erhaltung des kulturellen Erbes, wegen der Weigerung der VG Bild-Kunst, mit der SPK einen Lizenzvertrag über die Nutzung ihres Repertoires von Werken zu schließen, ohne dass eine Bestimmung in den Vertrag aufgenommen wird, wonach sich die SPK als Lizenznehmerin verpflichtet, bei der Nutzung der vertragsgegenständlichen Werke und Schutzgegenstände wirksame technische Maßnahmen gegen Framing dieser Werke und dieser Schutzgegenstände durch Dritte anzuwenden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2001/29
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 3, 4, 9, 10, 23 und 31 der Richtlinie 2001/29 heißt es:
„(3) Die vorgeschlagene Harmonisierung trägt zur Verwirklichung der vier Freiheiten des Binnenmarkts bei und steht im Zusammenhang mit der Beachtung der tragenden Grundsätze des Rechts, insbesondere des Eigentums einschließlich des geistigen Eigentums, der freien Meinungsäußerung und des Gemeinwohls.
(4) Ein harmonisierter Rechtsrahmen zum Schutz des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte wird durch erhöhte Rechtssicherheit und durch die Wahrung eines hohen Schutzniveaus im Bereich des geistigen Eigentums substanzielle Investitionen in Kreativität und Innovation … fördern …
…
(9) Jede Harmonisierung des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte muss von einem hohen Schutzniveau ausgehen, da diese Rechte für das geistige Schaffen wesentlich sind. Ihr Schutz trägt dazu bei, die Erhaltung und Entwicklung kreativer Tätigkeit im Interesse der Urheber, ausübenden Künstler, Hersteller, Verbraucher, von Kultur und Wirtschaft sowie der breiten Öffentlichkeit sicherzustellen. Das geistige Eigentum ist daher als Bestandteil des Ei...