Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Recht auf Dolmetschleistungen. Anwendungsbereich. Begriff ‚Strafverfahren’. In einem Mitgliedstaat vorgesehenes Verfahren zur Anerkennung einer Entscheidung eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats in Strafsachen und zur Eintragung einer von diesem Gericht ausgesprochenen Verurteilung in das Strafregister. Kosten der Übersetzung dieser Entscheidung. Rahmenbeschluss 2009/315/JI. Beschluss 2009/316/JI
Normenkette
Richtlinie 2010/64/EU
Beteiligte
Tenor
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren ist dahin auszulegen, dass die Richtlinie nicht auf ein besonderes innerstaatliches Verfahren für die Anerkennung, durch das Gericht eines Mitgliedstaats, einer rechtskräftigen Entscheidung eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats anzuwenden ist, mit der eine Person wegen der Begehung einer Straftat verurteilt wurde.
Der Rahmenbeschluss 2009/315/JI des Rates vom 26. Februar 2009 über die Durchführung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten und der Beschluss 2009/316/JI des Rates vom 6. April 2009 zur Einrichtung des Europäischen Strafregisterinformationssystems (ECRIS) gemäß Artikel 11 des Rahmenbeschlusses 2009/315 sind dahin auszulegen, dass sie der Anwendung einer nationalen Regelung, mit der ein solches besonderes Verfahren geschaffen wird, entgegenstehen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Budapest Környéki Törvényszék (Bezirksgericht Budapest, Ungarn) mit Entscheidung vom 5. Januar 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Januar 2015, in dem Verfahren gegen
István Balogh
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs A. Tizzano (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Fünften Kammer, der Richter F. Biltgen und A. Borg Barthet sowie der Richterin M. Berger,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Dezember 2015,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Koós und M. Bóra als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Eberhard, F. Zeder und B. Trefil als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Sipos und R. Troosters als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Januar 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (ABl. 2010, L 280, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht in einem Verfahren vor dem Budapest Környéki Törvényszék (Bezirksgericht Budapest, Ungarn) zur Anerkennung der Wirkungen eines rechtskräftigen Urteils eines anderen Mitgliedstaats, mit dem Herr István Balogh wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe und zur Tragung der Kosten des Verfahrens verurteilt wurde, in Ungarn.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rahmenbeschluss 2009/315/JI
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 2, 3, 5 und 17 des Rahmenbeschlusses 2009/315/JI des Rates vom 26. Februar 2009 über die Durchführung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. 2009, L 93, S. 23) heißt es:
„(2) Am 29. November 2000 hat der Rat … ein Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen … angenommen. Der vorliegende Rahmenbeschluss trägt dazu bei, die in Maßnahme Nr. 3 des Programms genannten Ziele zu erreichen …
(3) Im Schlussbericht über die erste Begutachtungsrunde zur Rechtshilfe in Strafsachen … wurden die Mitgliedstaaten ersucht, die Verfahren für die Übermittlung von Dokumenten zwischen Staaten zu vereinfachen; hierzu sollten gegebenenfalls Standardformulare verwendet werden, die der Erleichterung der Rechtshilfe dienen sollen.
…
(5) Mit Blick auf die Verbesserung des Informationsaustauschs aus den Strafregistern zwischen den Mitgliedstaaten werden die zur Verwirklichung dieses Ziels entwickelten Projekte begrüßt. … Die … gesammelte Erfahrung hat … gezeigt, dass der gegenseitige Austausch von Informationen über Verurteilungen zwischen den Mitgliedstaaten weiter vereinfacht werden muss.
…
(17) … Die gegenseitige Verständigung kann verbessert werden, indem ein ‚europäisches Standardformat’ entwickelt wird, das den Austausch der Informationen in einer einheitlichen, elektronischen Form ermöglicht, die die automatisierte Übersetzung dieser Informationen erleichtert. …”
Rz. 4
Art. 1 des Rah...