Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Eisenbahnverkehr. Erhebung von Wegeentgelten im Schienenverkehr. Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers. Aufgaben der Regulierungsstelle. Begriff der bestmöglichen Wettbewerbsfähigkeit der Segmente des Eisenbahnmarktes. Ausschließliches Recht in einem Eisenbahnsegment. Betreiber öffentlicher Dienstleistungen
Normenkette
Richtlinie 2012/34/EU Art. 32, 56
Beteiligte
Valsts dzelzceļa administrācija |
Tenor
1. Art. 56 der Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums ist dahin auszulegen, dass die Regulierungsstelle befugt ist, von Amts wegen einen Bescheid zu erlassen, der ein Unternehmen, das die wesentlichen Funktionen des Betreibers der Eisenbahninfrastruktur gemäß Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie ausübt, verpflichtet, bestimmte Änderungen der Wegeentgeltregelung vorzunehmen, obwohl kein Zusammenhang mit der Diskriminierung von Antragstellern besteht.
2. Art. 56 der Richtlinie 2012/34 ist dahin auszulegen, dass die in eine Entgeltregelung aufzunehmenden Voraussetzungen, die die Regulierungsstelle dem Unternehmen, das die wesentlichen Funktionen des Betreibers der Eisenbahninfrastruktur ausübt, vorschreiben darf, mit einem Verstoß gegen die Richtlinie 2012/34 begründet sein müssen, sich auf die Beseitigung von Unvereinbarkeiten beschränken müssen und keine Zweckmäßigkeitsbeurteilungen dieser Stelle enthalten dürfen, die den Spielraum dieses Betreibers beeinträchtigen.
3. Art. 32 Abs. 1 der Richtlinie 2012/34 ist dahin auszulegen, dass er – auch in Bezug auf das Kriterium der bestmöglichen Wettbewerbsfähigkeit der Segmente des Eisenbahnmarktes – auch für Segmente des Eisenbahnmarktes gilt, in denen kein Wettbewerb herrscht, z. B., wenn sie von einem Betreiber eines öffentlichen Dienstes betrieben werden, dem aufgrund eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags ein ausschließliches Recht im Sinne von Art. 2 Buchst. f der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates gewährt worden ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht, Lettland) mit Entscheidung vom 26. März 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 27. März 2020, in dem Verfahren
AS „LatRailNet”,
VAS „Latvijas dzelzceļš”
gegen
Valsts dzelzceļa administrācija
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter M. Ilešič, E. Juhász (Berichterstatter), C. Lycourgos und I. Jarukaitis,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der VAS „Latvijas dzelzceļš”, vertreten durch D. Driče, advokāte,
- der Valsts dzelzceļa administrācija, vertreten durch J. Zālītis, J. Zicāns und J. Iesalnieks,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Sclafani, avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch I. Naglis, W. Mölls und C. Vrignon, dann durch C. Vrignon als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. März 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 32 Abs. 1 und Art. 56 Abs. 2 der Richtlinie 2012/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. November 2012 zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnraums (ABl. 2012, L 343, S. 32).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der AS „LatRailNet” und der VAS „Latvijas dzelzceļš” (im Folgenden: LD) einerseits und der Valsts dzelzceļa administrācija (Nationale Eisenbahnverwaltung, Lettland) andererseits wegen der Anfechtung zweier Rechtsakte, die von dieser am 27. Juni 2018 bzw. am 7. November 2018 erlassen wurden.
Rechtlicher Rahmen
Richtlinie 2012/34
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 19 und 76 der Richtlinie 2012/34 lauten:
„(19) Die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße [und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (ABl. 2007, L 315, S. 1)] sieht die Möglichkeit vor, dass Mitgliedstaaten und lokale Gebietskörperschaften öffentliche Dienstleistungsaufträge vergeben, die ausschließliche Rechte zur Durchführung bestimmter Dienste umfassen können. Es ist daher erforderlich, die Kohärenz zwischen den Bestimmungen der genannten Verordnung und dem Grundsatz der Öffnung grenzüberschreitender Personenverkehrsdienste für den Wettbewerb zu gewährleisten.
…
(76) Die effiziente Verwaltung und gerechte und ...