Entscheidungsstichwort (Thema)
Elektrizitätsbinnenmarkt. Richtlinie 2003/54/EG. Art. 20. Übertragungs- und Verteilernetze. Zugang Dritter. Verpflichtungen der Mitgliedstaaten. Freier Zugang Dritter zu den Übertragungs- und Verteilernetzen für Elektrizität
Beteiligte
Tenor
Art. 20 der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG ist dahin auszulegen, dass er die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nur insoweit festlegt, als sie den Zugang zu den Stromübertragungs- oder -verteilernetzen, nicht aber den Anschluss Dritter an diese betreffen und dass er nicht vorsieht, dass die Netzzugangsregelung, die die Mitgliedstaaten einzuführen haben, dem zugelassenen Kunden die Möglichkeit einräumen muss, nach seinem Ermessen die Art von Netz zu wählen, an die er sich anschließen möchte.
Der genannte Art. 20 ist zudem dahin auszulegen, dass er innerstaatlichen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, wonach die Anlagen eines zugelassenen Kunden nur dann an ein Übertragungsnetz angeschlossen werden dürfen, wenn der Betreiber eines Verteilernetzes sich wegen feststehender technischer oder betrieblicher Anforderungen weigert, die Anlagen des zugelassenen Kunden, die in dem in seiner Lizenz bestimmten Gebiet liegen, an sein Netz anzuschließen. Das nationale Gericht hat allerdings zu prüfen, ob die Einführung und Anwendung dieser Regelung aufgrund objektiver Kriterien und ohne Diskriminierung zwischen den Netzbenutzern erfolgt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Lietuvos Respublikos Konstitucinis Teismas (Litauen) mit Entscheidung vom 8. Mai 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Mai 2007, in einem Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit, eingeleitet von
Julius Sabatauskas u. a.,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas, der Richter A. Ó Caoimh, J. N. Cunha Rodrigues und U. Lõhmus sowie der Richterin P. Lindh (Berichterstatterin),
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. April 2008,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Sabatauskas u. a., vertreten durch G. Kaminskas, advokatas,
- der litauischen Regierung, vertreten durch D. Kriauciunas und R. Mackeviciene als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von W. Ferrante, avvocato dello Stato,
- der finnischen Regierung, vertreten durch J. Heliskoski und A. Guimaraes-Purokoski als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Schima und A. Steiblyte als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 12. Juni 2008
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 20 der Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 96/92/EG (ABl. L 176, S. 37, und – Berichtigung – ABl. 2004, L 16, S. 74, im Folgenden: Richtlinie).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Verfahrens vor dem Lietuvos Respublikos Konstitucinis Teismas (Verfassungsgericht der Republik Litauen), das von Herrn Sabatauskas u. a., Mitgliedern des litauischen Parlaments, angerufen wurde, um die Verfassungsmäßigkeit von Art. 15 Abs. 2 des Lietuvos Respublikos elektros energetikos įstatymo pakeitimo įstatymas Nr. IX-2307 (Žin. 2004, Nr. 107-3964) (Gesetz über die Elektrizität in der Fassung des Gesetzes Nr. IX-2307) vom 1. Juli 2004 überprüfen zu lassen.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Rz. 3
Art. 1 der Richtlinie lautet:
„Mit dieser Richtlinie werden gemeinsame Vorschriften für die Elektrizitätserzeugung, -übertragung, -verteilung und -versorgung erlassen. Sie regelt die Organisation und Funktionsweise des Elektrizitätssektors, den Marktzugang, die Kriterien und Verfahren für die Ausschreibungen und die Vergabe von Genehmigungen sowie den Betrieb der Netze.”
Rz. 4
Die Erwägungsgründe 2, 4 bis 7, 13, 15 und 17 der Richtlinie haben folgenden Wortlaut:
„(2) Die bei der Durchführung [der] Richtlinie [96/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Dezember 1996 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt (ABl. 1997, L 27, S. 20)] gewonnenen Erfahrungen zeugen von dem Nutzen, der sich aus dem Elektrizitätsbinnenmarkt ergeben kann, in Form von Effizienzsteigerungen, Preissenkungen, einer höheren Dienstleistungsqualität und einer größeren Wettbewerbsfähigkeit. Nach wie vor bestehen jedoch schwerwiegende Mängel und weit reichende Möglichkeiten zur Verbesserung der Funktionsweise der Märkte, insbesondere sind konkrete Maßnahmen erforderlich, um gleiche Ausgangsbedingunge...